Das Land betreibt Schulpolitik auf dem Rücken der Gesundheit seiner Lehrkräfte. Es schichtet immer mehr Aufgaben auf die Schulen ab, während diese mit einem sich stetig zuspitzenden Lehrkräftemangel kämpfen. Die Kosten dieser nicht aufgehenden Rechnung bezahlen die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer Gesundheit: Immer mehr Lehrkräfte fallen mit physischen und psychischen Krankheiten langfristig aus. Der Dienstherr verletzt seine Fürsorgepflicht aufs Gröbste!“, echauffiert sich Gerhard Brand, Landesvorsitzender des VBE.
Im Auftrag des VBE hat forsa vom 17. September bis 28. Oktober 2021 eine repräsentative Befragung unter Schulleitungen allgemeinbildender Schulen zum Thema Gesundheitsvorsorge durchgeführt. Bundesweit haben 1.300 Schulleitungen partizipiert, darunter 253 aus Baden-Württemberg. Ein Teil der Fragen wurde bereits in einer vorherigen Erhebung im Jahr 2019 erhoben, so dass entsprechende Zeitvergleiche möglich sind. Die Ergebnisse sind sowohl für den Bund als auch fürs Land repräsentativ, die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf Baden-Württemberg.
Mehrbelastungen im Schulalltag
Die Schulleitungen wurden zunächst gefragt, ob für ihr Kollegium im Schulalltag tatsächlich Mehrbelastungen durch neue Herausforderungen wie Integration, Inklusion oder andere Entwicklungen entstehen. Bereits 2019, noch vor der Pandemie, sagten drei Viertel (74%) der Schulleitungen, dass dies für die meisten oder fast alle Lehrkräfte zutrifft. In der Pandemie hat sich die Lage weiter zugespitzt: Jetzt sagen dies rund neun von zehn (86%) Schulleitungen. Dagegen meinen nur 5 Prozent, dass keine Mehrbelastungen für die Lehrkräfte entstehen.
Gerhard Brand: „Auf den Lehrkräften lastet durch immer neue Anforderungen, wie jetzt seit zwei Jahren in der Pandemie, aber auch durch Projekte wie Integration, Inklusion und Ganztag, Änderungen im schulischen System und viele andere Entwicklungen, eine massive Mehrfachbelastung und ein immenser Druck.“ Praktisch alle Schulleitungen (96 Prozent) sagen, dass die Belastungen für das Kollegium in der Pandemie erneut zugenommen haben. Brand: „Nach allem, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, verwundert dies nicht. Wieder einmal haben die Lehrkräfte eine Vielzahl zusätzlicher Aufgaben obendrauf bekommen. Man denke nur an die Notbetreuung, den Digital- und Fernunterricht, die Corona-Testungen oder die drei Not-Nachhilfeprogramme. Und wieder einmal gab es null Entlastung“.
Folgen der Mehrbelastung: Langzeitausfälle steigen an
Immer mehr Lehrkräfte im Land fallen krankheitsbedingt langfristig aus. Bereits 2019 berichtete jede dritte (29%) Schulleitung, dass immer mehr Lehrkräfte ihres Kollegiums aufgrund physischer Erkrankungen langfristig ausfallen. In der Pandemie hat nun jede zweite Schule (45%) mit Langzeitausfällen aufgrund physischer Erkrankungen zu kämpfen. Ähnlich verhält es sich mit psychischen Erkrankungen: 2019 berichtete jede dritte Schulleitung (30%), dass immer mehr Lehrkräfte ihrer Schule aufgrund psychischer Erkrankungen langfristig ausfallen. Jetzt sind es vier von zehn Schulen (41%), an denen Lehrkräfte mit psychischen Erkrankungen langfristig ausfallen. Gerhard Brand: „Die Entwicklung ist ebenso rasant, wie sie beunruhigend ist. Für die Schulen ist es ein Teufelskreis: Die hohe Arbeitsbelastung führt immer öfter zu langfristigen Krankheitsausfällen und verstärkt damit den Personalmangel, wodurch die Belastung weiter steigt. Der Dienstherr steht in der Fürsorgepflicht! Er muss diesen Teufelskreis durchbrechen!“
Möglichkeiten zur Gesunderhaltung
Vor dem skizzierten Hintergrund wäre es umso wichtiger, dass das Kultusministerium ausreichend Angebote zur Gesundhaltung der Lehrkräfte durch Fortbildungen oder andere Maßnahmen wie beispielsweise Supervision bereitstellt. Zwei Drittel (66%) der Schulleitungen sagen jedoch, dass dies nicht der Fall ist, oder sie zumindest nichts davon wissen. Ebenso berichten zwei Drittel (64%) der Schulleitungen, über keine Möglichkeiten zu verfügen, selbst zur Gesunderhaltung beitragen zu können.
Um den Lehrberuf wieder leistbar zu machen, fordert der VBE:
- Lehrkräftemangel konsequent abbauen: Kontinuierliche Erhöhung der Studienplatzkapazitäten, bessere Begleitung im Studium und den Übergangsphasen, deutlicher Ausbau der Krankheitsreserve.
- Entlastung durch kleinere Klassen und multiprofessionelle Teams. Und durch die Umsetzung des Konzeptes zur Stärkung und Entlastung der Schulleitungen: Wer Schulleitungen entlastet, verschafft diesen zugleich mehr Raum, um sich für die Gesunderhaltung des Kollegiums einsetzen zu können.
- Transparente Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge schaffen. Zum Beispiel durch entsprechende Fortbildungen, Supervision oder die Ausstattung der Schulen mit Ruhe- und Rückzugsräumen, wie sie in allen modernen Betrieben und Firmen längst Standard sind.
Weiterführende Infos
Der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand hat die Studie heute im Rahmen einer Landespressekonferenz vorgestellt: