„Je mehr die Kultusministerien öffentlich die Rückkehr zum Normalbetrieb proklamieren und eine flächendeckende Realisierbarkeit suggerieren, zieht jede einzelne Schule, an der das nicht umgesetzt werden kann, und schlussendlich die einzelne Lehrkraft, den daraus entstehenden Unmut der Eltern auf sich. Dabei war schon vor Corona klar, dass die Personaldecke zu knapp war. Auch deshalb sollten sich Eltern und Lehrkräfte nicht gegeneinander ausspielen lassen“, erläutert der stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, mit Blick auf die Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) am Donnerstag und Freitag.
„Die Kultusministerien sind es, die mit intransparenter Kommunikation, dem fehlenden Abgleich mit der Realität und der Schnelligkeit der Änderung ihrer Pläne zu einem schlechten Bild von Lehrkräften beitragen. Weil Schule gar nicht ausreichend Zeit erhält, auf die sich ständig ändernden Vorgaben einzugehen, weil die Beteiligten nicht ausreichend in den Entscheidungsprozess einbezogen sind – und weil sich die Planungen an Wunschvorstellungen, aber nicht an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren. Damit schaffen die Kultusministerien eine ideale Bühne für ‚Lehrerbashing‘. Sie verantworten damit, dass sich Lehrkräfte weniger wertgeschätzt fühlen, der Beruf unattraktiver wird und sich in Zukunft noch weniger Personen dafür interessieren werden, in diesem Feld zu arbeiten. So wird sich die sowieso schon bedenkliche Personalknappheit weiter verschärfen. Damit muss Schluss sein. In ihrer Sitzung am Donnerstag und Freitag muss sich die KMK endlich ehrlich machen“, fordert Brand.
Und weiter: „Es wird auf absehbare Zeit keinen kontinuierlichen und flächendeckenden regulären Schulbetrieb geben. Das verhindert der von der Politik zu verantwortende Personalmangel. Verschärft wird er durch die ca. 10 bis 15 Prozent durch ein entsprechendes Attest freigestellten Lehrkräfte, die Risikogruppen angehören. Zudem werden vielerorts schon wieder Schulen aufgrund neu auftretender Infektionsfälle geschlossen.“
Gesundheitsschutz nicht aus dem Fokus verlieren, Kommunikation verbessern
Brand stellt fest, dass die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens in Deutschland derzeit nicht prognostizierbar sei. Er fordert daher: „Die Kultusministerien müssen verschiedene Szenarien entwerfen, die unterschiedliche Verläufe und deren Auswirkungen auf Schule mitdenken. Neben dem von den Ministerien favorisierten (1) regulären Schulbetrieb ist zu erörtern, wie ein (2) ‚normalisierter Schulbetrieb‘ funktionieren kann, ggf. mit Ausdünnung der Stundentafel oder einem eingeschränkten Betreuungsangebot. Zudem braucht es weiter Überlegungen zur (3) Parallelität von Unterricht vor Ort und Arbeitsaufträgen für das Lernen zu Hause, ggf. auch Impulsen per digitalem Weg und (4) dem eigenständigen Lernen zu Hause.“
Doch diese Planungen müssten nicht nur entworfen, sondern auch allen Beteiligten zugänglich gemacht und transparent kommuniziert werden. Besonders wichtig ist hierbei, den Schulleitungen konkrete Rahmenanforderungen bereitzustellen, welche die Eigenverantwortung unterstützen, aber kein Mittel zum Abschieben von Verantwortung sein dürfen. Die Haftung für alle Lockerungsmaßnahmen trägt die Politik. „Deshalb ist auch jede Aufhebung von Schutzmaßnahmen an Schulen wohl zu überlegen, gut zu begründen und ausführlich zu kommunizieren. Bei jeder Lockerung ist von der Politik zu erläutern, welche alternativen Schutzmaßnahmen getroffen werden“, so Brand. Der Gesundheitsschutz müsse weiter im Fokus stehen.
Reflexionen zulassen, Lernrückstände auffangen und Wertschätzung für neu erlernte Fähigkeiten zeigen
Essenziell sei, dass sich alle Planungen an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren. Außerdem sei ausreichend Zeit einzuplanen, um das Erlebte aufzuarbeiten und wieder in Strukturen zurückzufinden. Dafür seien, wo notwendig, starre curriculare Anforderungen auszusetzen. Brand spricht sich dafür aus, zunächst die starke Heterogenität des Lernfortschritts schrittweise einzufangen. „Wir sehen, dass es teilweise gravierende Lernrückstände gibt und innerhalb der Lerngruppen große Unterschiede. Hier braucht es individuelle Förderung, für die mehr Personal, zum Beispiel durch den Einsatz von multiprofessionellen Teams, notwendig ist. Außerdem sind die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte nun schnellstmöglich mit digitalen Endgeräten auszustatten und Lehrkräfte hochwertig fortzubilden.“
Gleichzeitig sieht Brand eine mangelnde Wertschätzung für die in der Krise neu erlernten Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. „Die Kinder und Jugendliche haben teilweise existenzielle Erfahrungen gemacht und sich persönlich weiterentwickelt. In einer sich schnell ändernden Welt haben sie beweisen müssen, dass sie mit neuen Anforderungen zurechtkommen. Auch die Lehrkräfte haben in der Zeit der Krise gezeigt, mit wie viel Engagement und Herzblut sie ihrem Beruf nachgehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich die Gesellschaft nicht gegen die Lehrkräfte wendet, sondern genauso wütend wird wie wir, wenn die Kultusministerien über die Schulen hinweg Entscheidungen treffen, die nicht eingehalten werden können, und Erwartungen weckt, die nicht einzulösen sind.“