Eine forsa-Umfrage im Auftrag des VBE deckt auf, dass sowohl die psychische als auch physische Gewalt gegen Lehrkräfte stark zunimmt. Gleichzeitig schätzen Schulleitungen ihre Möglichkeiten, die Lehrkräfte nach einem Vorfall ausreichend zu unterstützen, deutlich geringer ein. Die Umfrage wurde heute im Rahmen einer Landespressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie ist für das Land Baden-Württemberg repräsentativ.
„Wir haben das Thema mit unseren Umfragen in den letzten Jahren in die Öffentlichkeit gebracht und damit wesentlich zur Enttabuisierung beigetragen. Sicher hat dies auch dazu geführt, dass Lehrkräfte und Schulleitungen nun offener damit umgehen und Vorfälle öfter melden. Trotzdem erschüttert es mich, wie stark die Zahlen gestiegen sind. Zumal die Politik öffentlich immer noch versichert, dass es sich nur um Einzelfälle handelt. So wird dann auch begründet, weshalb keine ganzheitliche statistische Erfassung erfolgt. Die Augen zu verschließen, löst das Problem aber nicht, ganz im Gegenteil“, mahnt der VBE-Landesvorsitzende, Gerhard Brand.
Auftreten von Gewalt
Die Umfrage zeigt: Rund 60 Prozent der Schulleitungen geben an, dass es in den letzten fünf Jahren an ihrer Schule Fälle gab, in denen Lehrkräfte direkte psychische Gewalt erlebten, also direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. 2018 sagten dies 45 Prozent. Eine deutliche Steigerung gibt es auch bei der psychischen Gewalt über das Internet. Gaben 2018 noch 16 Prozent der Schulleitungen an, dass diese aufgetreten sei, berichten es nun 23 Prozent. „Wichtig ist, dass sich Cybermobbing nur wenig von klassischem Mobbing unterscheidet und genauso eine Form der Gewalt ist. Es weist im Grunde die gleichen Tatumstände auf, es bedient sich lediglich anderer Methoden. Benutzt werden Internet- und Mobiltelefondienste zum Schikanieren und Beleidigen der Opfer. Was wir an den Schulen mehr denn je benötigen, ist die präventive Vermittlung von Medienkompetenz“, erläutert Gerhard Brand.
Ebenfalls deutlich angestiegen ist das Erleben körperlicher Gewalt. Die Zahl der Schulleitungen, die von körperlichen Angriffen gegen Lehrkräfte an ihrer Schule berichten, ist von 16 Prozent im Jahr 2018 auf nun 23 Prozent gestiegen „Das bedeutet, fast an jeder vierten Schule gab es einen körperlichen Angriff auf eine Lehrkraft! Das Thema muss vom Land in seiner ganzen Dringlichkeit wahr- und ernstgenommen werden. Betroffene Lehrkräfte, müssen die volle Unterstützung ihres Dienstherrn erhalten“, fordert Brand.
Unterstützung der Lehrkräfte
Beunruhigend ist auch, dass nur noch jede zweite Schulleitung angibt, die Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltvorfälle erlebt haben, ausreichend unterstützen zu können. 2018 sagten dies noch 85 Prozent der Befragten. „Wir beobachten einen doppelten Negativtrend: Während Gewaltvorfälle stark steigen, kann zugleich die dringend benötigte Unterstützung nach einem Vorfall immer seltener geleistet werden“, fasst Brand die Ergebnisse zusammen.
Tabu gebrochen!
Als der VBE die Umfrage 2016 das erste Mal unter Lehrkräften durchführte, gaben noch fast 60 Prozent Befragten an, dass sie Gewalt gegen Lehrkräfte als Tabu-Thema empfinden. 2018 sagten dies dann nur noch 36 Prozent der befragten Schulleitungen. In der aktuellen Umfrage geben dies nun 29 Prozent der Schulleitungen an. „Der VBE ist die einzige Lehrkräftevertretung, die sich dieses Themas mit Umfragen bundes- und landesweit annimmt und damit auf Bundestags- und Landtagsabgeordnete zugeht. Wir haben die Ergebnisse nicht nur öffentlich, sondern auch der Politik zugänglich gemacht und uns mit konkreten Forderungen an sie gewendet. Diese bleiben aktuell“, so Brand.
Forderungen
Der VBE sieht das Land in der Pflicht, sich dem Thema Gewalt gegen Lehrkräfte aktiv anzunehmen:
- Das Land muss sich weiter aktiv der Enttabuisierung des Themas widmen. Fälle von Gewalt gegen Lehrkräfte sind in einer der amtlichen Schulstatistik – anonym und nicht an die Schule gebunden – zu verzeichnen.
- Das Thema Gewalt gegen Lehrkräfte muss in allen drei Phasen der Lehrerbildung Berücksichtigung finden. Im Studium, im Referendariat und durch Fortbildungen müssen Schulleitungen und Lehrkräfte zum Umgang mit Gewaltvorfällen befähigt werden, sodass sie auch in diesen Extremsituationen handlungsfähig bleiben.
- Freie Gestaltungsräume und vor allem mehr Zeit für Schule, um Gewaltprävention und Werteerziehung an Schule zu intensivieren.
- Bessere Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle Teams, insbesondere durch psychologisch geschulte Fachkräfte und Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter.
- Vermittlung von Medienkompetenz an den Schulen als Prävention gegen Cybermobbing.
- Im Fall von Gewalt gegen Lehrkräfte müssen Lehrerinnen und Lehrer bei Bedarf psychologische Unterstützung erhalten. Schulleitungen sind nicht dazu ausgebildet, psychologisch unterstützend für Lehrkräfte zu wirken. Das Land ist gefordert, den Zugang zur schulpsychologischen Beratung und Betreuung zu vereinfachen.
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