Bereits zum zweiten Mal seit ihrem Amtsantritt besuchte Kultusministerin Theresa Schopper den VBE auf seiner jährlichen Klausurtagung im Pforzheimer Parkhotel. Unterstützt durch Ministerialrat Jürgen Striby nahm sie sich ausgiebig Zeit, um mit der Verbandsleitung aktuelle Themenfelder der Bildungspolitik zu besprechen. Im Brennpunkt standen dabei die Personalsituation an Kitas und Schulen sowie die verbindliche Umsetzung des Ganztags beginnend ab 2026.
Für den VBE beteiligten sich der Landesvorsitzende Gerhard Brand und dessen Stellevertreter Walter Beyer, Dirk Lederle und Oliver Hintzen an dem Gespräch. Der Landesvorsitzende begrüßte Kultusministerin und Ministerialrat herzlich, bedankte sich für das Kommen trotz eines übervollen Terminkalenders und leitete umstandslos in die Tagesordnung über. „Der kommende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, darüber würden wir gerne mit Ihnen sprechen“, eröffnete er die rund zweistündige Gesprächsrunde.
Ganztag: Kommunen fürchten „Kannibalisierung auf dem Markt“
Der Bundestag hat das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter beschlossen. Es sieht ab August 2026 einen Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung vor, der sukzessive bis 2030 in Kraft tritt. Baden-Württemberg will nun die Aufsicht über die Betreuungseinrichtungen kommunaler und freier Träger für Schulkinder gesetzlich verankern, den Schulaufsichtsbehörden zuordnen und die zu deren Wahrnehmung erforderlichen Aufsichtsinstrumente schaffen.
Oliver Hintzen begrüßte im Namen des VBE einen entsprechenden Gesetzesentwurf der Landesregierung. Um Ganztagesangebote qualitativ hochwertig planen zu können, sei es zielführend, die Aufsicht den Kultusbehörden zu unterstellen. „Ich glaube allerdings nicht, dass wir dies ohne zusätzliche Ressourcen auf der Verwaltungsebene hinbekommen werden“, erklärte er. Viele Schulämter seien stark ausgelastet und die Schaffung neuer Stellen dringend angezeigt.
Darüber hinaus machte Hintzen deutlich, dass erweiterte Betreuungsangebote im Ganztag auch ein erneutes Aufgabenplus für die Schulleitungen darstellen. Dies umfasse die Anpassung der Stundenpläne, die permanente Abstimmung mit Eltern und Betreuungseinrichtungen und viele weitere organisatorische Fragen. Eine entsprechende Entlastung sei angesichts des ohnehin ausgereizten Zeitbudgets der Schulleiterinnen und Schulleiter nicht nur wünschenswert, sondern unabdingbar.
Die Ministerin erklärte ihrerseits, für die Administrierung des Ganztags bereits zusätzliche Stellen im Haushalt beantragt zu haben. Ziel sei es, die Qualität der Ganztagesangebote im Land zu gewährleisten. Über eine mögliche Entlastung von Schulleitungen wollte Schopper sich dagegen nicht abschließend äußern. Generell seien die Planungen für den Ganztag noch nicht in der Zielkurve, sondern vieles noch im Fluss. Klar definiert sei hingegen, dass nachdem aufgestellten Qualitätsrahmen die Ganztagesbetreuung durch ausgebildete pädagogische Fachkräfte zu erfolgen habe. Für die kommunale Seite sei dies durchaus keine Kleinigkeit. „Städte und Gemeinden befürchten eine Kannibalisierung auf dem Markt“, so Schopper.
Lehrkräfteversorgung in THE LÄND
21 Million Euro hat das Land Baden-Württemberg für die Imagekampagne „THE LÄND“ ausgegeben. Im Gespräch mit der Kultusministerin fragte VBE-Vize Dirk Lederle, warum es eigentlich keine zündenden Imagekampagnen für die Lehrkräftegewinnung gäbe? Etwa um die vielfältigen Vorzüge des ländlichen Raums hervorzuheben und den Nachwuchs dorthin zu bekommen, wo er gebraucht werde. Um unterversorgte Regionen attraktiver zu machen, wäre es außerdem hilfreich, „den Junglehrkräften einen realistischen Zeithorizont zu eröffnen, wann sie wieder aus diesen Regionen zurückkehren können.“
Ein noch grundsätzlicheres Problem machte Lederle zudem in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus: „Ich bin schockiert, dass im Jahr 2022 viele Kolleginnen sagen, ich würde ja gerne mehr arbeiten, aber ich bekomme mein Kind nicht versorgt. Ich kenne wirklich viele Lehrerinnen, die gerne erhöhen würden, wenn sie denn nur könnten.“
Die Ausführungen bekräftigte Walter Beyer, gerade an den Grundschulen seien die angesprochenen Problemlagen virulent. Insgesamt, so der Grundschulleiter, sei die Personalsituation im Primarbereich seit Jahren kritisch. In der Pandemie habe es an nicht wenigen Schulen einen durchgängigen Lehrkräfteausfall von 15 bis 30 Prozent gegeben. Um den Schulbetrieb weiter aufrechterhalten zu können, müsse das Land nun dringend seine Krankheitsreserve ausbauen. Der Schulleiter machte außerdem auf die hohen Abbrecherquoten im Lehramtsstudium aufmerksam, deutlich zu viele der angehenden Grundschullehrkräfte gingen unterwegs verloren.
Kultusministerin will Freiwilliges Pädagogisches Jahr
In ihrer Replik auf die skizzierten Problemlagen betonte die Ministerin zunächst, dass eine familienfreundliche Infrastruktur im Sinne ihres Hauses sei. Auf die Öffnungszeiten von Kitas könne das Ministerium allerdings keinen Einfluss nehmen. Evident sei, dass die Betreuungszeiten vielerorts nur bedingt mit den Arbeitszeiten von Lehrerinnen vereinbar sind. Der Punkt berühre allerdings die kommunale Selbstverwaltung und den Verantwortungsbereich der jeweiligen Träger. Der Erzieherinnenmangel mache eine Ausweitung der Betreuungszeit jedoch grundsätzlich schwierig.
Mit Blick auf die Lehrkräftegewinnung wies Schopper auf bereits laufende Imagekampagnen hin. Das Wissenschaftsministerium zeichne sich für die Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen zuständig, werbe auf Messen intensiv für den Lehrerberuf und fahre eine ordentliche Kampagne. Hiervon unabhängig regte die Kultusministerin die Einführung eines Freiwilligen Pädagogischen Jahres an. Ein solches könne interessierten Personen einen praxisnahen Einblick in den Beruf gewähren und Klebeeffekte erzeugen.
Zu den Problemen mit der Unterrichtsversorgung im Primarbereich führte die Ministerin aus, dass das Land in den letzten Jahren sehr viele junge Kolleginnen angestellt habe, „die sich nun alle in der Phase der Familienplanung befinden“. Aktuell verbuche man die imposante Zahl von 8.000 Schwangerschaften im Jahr. Da in der Pandemie gleichzeitig eine strenge Regelung zum Mutterschutz gegriffen habe, sei es gerade an den Grundschulen zu „außerordentlichen Verwerfungen“ gekommen. Für das neue Schuljahr sei die Regelung nun zumindest teilweise wieder gelockert worden.
Generell rechne das Ministerium in den nächsten Jahren an den Grundschulen aber mit einer besseren Versorgung. Das Land habe die Studienkapazitäten im Primarbereich von ehemals 900 auf inzwischen 1.600 Plätze fast verdoppelt. Diese zusätzlichen Lehrkräfte kämen langsam aber sicher auch an den Schulen an. Gleichwohl warnte Schopper vor einer „demografischen Mangelsituation“, auf die das Land nicht nur im Lehrlings-, sondern auch im Studienbereich zulaufe. „Der Teich, aus dem wir fischen, ist endlich“, so Schopper.