Wer ihn noch nicht live gesehen hat, kennt ihn trotzdem. Er kennt nicht nur ihn, sondern auch viele Geschichten, die sich um ihn ranken. Sind da doch die Fallgesetze von Galileo Galilei, die dort offenbar erprobt wurden (was aber letztlich nicht bewiesen ist). Da ist aber auch das Phänomen, dass das Bauwerk nicht auf Fels, sondern auf Sand gebaut ist. Dieser ist einerseits dafür zuständig, dass der Turm diese Neigung von 3,97 Grad aufweist. Andererseits hat gerade dadurch der Schiefe Turm von Pisa vier Erdbeben relativ schadlos überstanden.
Und was haben diese Histörchen mit dem VBE zu tun? Nun – auch in der Bildungslandschaft gestaltet PISA ein Bild in unserer Vorstellungskraft und leider ist auch dieses immer wieder schief. PISA – Programme for International Student Assessment (Programm zur internationalen Schülerbewertung): Die Studien der OECD (= Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung) sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährlichem Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten Fünfzehnjähriger zu messen. In Deutschland ist die Kultusminister-Konferenz (KMK) der Auftraggeber.
PISA-Tests: Gesprächsanlässe zur Zeitverschwendung
Wenigstens in einem Satz wollen wir festhalten, dass PISA nicht der einzige schiefe Vergleich ist, der auf die Schullandschaft niederprasselt. PISA-E, TIMMS, VERA u.a. machen den Schulen viel überflüssige Arbeit, denn das Allerwichtigste fehlt all diesen Vergleichen: es gibt weder Anerkennung -z.B. in Geld oder Deputatsnachlässen- für die Testsieger, noch gibt es Unterstützungssysteme für die PISA-Verlierer. Mehr als Gesprächsanlässe zur Zeitverschwendung bieten die PISA-Vergleiche nicht, schon gar nicht taugen sie dazu etwas zu messen, was sich gar nicht messen lässt. Wir Mensch glauben doch -und die Pädagogik hat das ja zeitweise auch so formuliert („Wichtig ist, was hinten rauskommt!“)- dass ein Ergebnis, das der Computer auswirft, untadelig ist. Dabei vergessen wir allzu oft und immer öfter, dass der Computer nur das als Ergebnis auswerfen kann, was er bei der Eingabe zum Verarbeiten bekommt. Und die Eingabe machen wieder Menschen mit all ihren Fehlern. Hunderte von Artikeln sind schon geschrieben worden, was rein wissenschaftlich bei PISA schiefläuft. Ich möchte nur eine -mir wichtig erscheinende- Tatsache nennen: PISA ist eine interessensgebundene Auftragsforschung, die von Regierungen finanziert und von privatwirtschaftlichen Instituten durchgeführt wird. Die Ergebnisse werden im Eigenverlag der OECD ohne vorherige externe Begutachtung veröffentlicht. Die Testaufgaben und die Datensätze werden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorenthalten. Dies ist ein offenkundiger Verstoß gegen wissenschaftliche Standards.
Vergleichen kann man aber doch in Wahrheit nur, was vor dem Test vergleichbar gemacht wird. Doch auch da gibt es große Unterschiede:
☞ Es gibt Länder, die PISA sehr wichtig nehmen, andere nehmen sie weniger wichtig. In Taiwan und Korea wird die unbedingte Leistungsmotivation dadurch unterstrichen, dass vor dem Test die Nationalhymne gesungen wird.
☞ Durch die Übersetzungen in unterschiedliche Sprachen weisen die Arbeitsaufträge um bis zu 10 Prozent Länge ab.
☞ Es gibt Staaten, die die Testergebnisse manipulieren. Wenige Beispiele: Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland und Polen haben Legastheniker vom Test ausgeschlossen. In Dänemark wurden auch Schüler mit Dyskalkulie ausgeschlossen. Durch einen uneinheitlichen Ausschluss von lernbehinderten Schülern wurden nur in sieben Ländern, darunter auch Deutschland, Sonderschüler in Kurztests getestet. Würde man diese Tests aus PISA herausrechnen, käme Deutschland bei Pisa 2003 mit der Leseleistung seiner Schüler vom 18. auf den 12. Rang unter 29 Staaten.
☞ Unterschiedliche gegebene Tatsachen verhindern ebenfalls eine einheitliche Ergebnisfindung. PISA testet 15-Jährige. In diesem Alter sind in vielen Ländern besonders schwache Schüler schon nicht mehr in der Schule. In der Türkei zum Beispiel besuchen in diesem Alter nur noch 54 Prozent die Schule, in Mexiko 58 Prozent, in Deutschland aber 96,3 Prozent. Das bedeutet: Besonders schwache Schüler drückten hier das Niveau, während sie in anderen Ländern als Schulabgänger schon gar nicht mehr vertreten waren – sehr wohl aber für die allgemeine Leistungsfähigkeit eines Schulsystems stehen.
Zusammenfassung zwischendurch: Alleine diese Beispiele zeigen uns, was die Ergebnisse von PISA-Tests aussagen können. Ich möchte es mal so zusammenfassen: Außer Spesen nichts gewesen.
PISA 2018 – Licht und Schatten
PISA 2018 – Licht und Schatten; so titeln die Journalien die im September 2018 vorgestellten jährlichen PISA-Ergebnisse. Wie weit diese, was die Rangfolge der Länder anbetrifft, überhaupt noch Aussagekraft aufweisen, darf nach den oben dargestellten Aspekten stark angezweifelt werden. Was aber im Vergleich der jeweils für Deutschland geltenden Zahlen dargestellt wird, hat sicher mehr Aussagekraft. Und so wollen wir hier einmal einen Blick auf Licht und Schatten innerhalb der Bundesrepublik werfen.
Das größte Lob erfährt das deutsche Berufsbildungssystem. Dieses schütze fast so gut wie ein Studium vor Arbeitslosigkeit. Und unsere Bundesbildungsministerin Anja Karliczek stellt zufrieden fest: „Berufliche Bildung und akademische Bildung sind bei uns gleichwertige und zukunftsfähige Karrierealternativen. Diese Feststellung ist umso interessanter, wenn man weiß, dass Statistiker das Abitur an beruflichen Gymnasien nicht in die Statistiken mit einrechnen. Dort wird –warum auch immer- nur die allgemeine Hochschulreife erfasst.
Ein zweites Lob erfährt der massive Ausbau von Kinder-Tagesstätten. Bei unter Dreijährigen ist die Quote der Betreuten um 20 auf 37 Prozent in den letzten 10 Jahren gestiegen. Bei den Drei- bis Fünfjährigen stieg die Quote im gleichen Zeitraum von 88 auf 95 Prozent. Damit liegt Deutschland über dem OECD-Durchschnitt von 86 Prozent.
Ein weiteres Ergebnis: 13 Prozent aller jungen Erwachsenen haben weder Abitur noch eine abgeschlossene Berufsausbildung. Diese Gruppe hat größte Probleme auf dem Arbeitsmarkt: nur 55 Prozent von ihnen haben einen Job. Ob die OECD-Empfehlung hier zielführend ist, dass man mehr von dieser Gruppe zum Abitur führen soll?
Weiteres Lob bekommt Deutschland für eine geringe Quote der Jugendarbeitslosigkeit. Nur jeder zehnte 15 bis 29-jährige hat weder einen Job noch befindet er sich in Ausbildung. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die im Ausland geboren wurden, ist hingegen jeder Vierte arbeitslos.
Blick auf die nächsten Jahre
Vergleicht man die Ergebnisse für Deutschland für die letzten Jahrzehnte, so muss man ehrlich gestehen, dass wir uns gut weiterentwickelt haben. Doch wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass es „Deutschland“ gar nicht gibt, was die Bildung anbetrifft. Bildungspolitik liegt, was Schüler betrifft, weitgehend in der Hoheit der einzelnen Bundesländer und somit ist es wichtig, auch hier nicht aus den Augen zu verlieren, was tatsächlich geschieht. Das so genannte Kooperationsverbot verbietet dem Bund sich in die Bildungshoheit der Länder einzumischen. Mehrfach gab es Versuche zur Lockerung, alle davon nahmen die parlamentarischen Hürden nicht. Somit darf der Bund in sehr eng begrenzten Fällen den Ländern Geld zur Verfügung stellen (z.B. für Gebäudesanierungen). Aber dann hat es sich schon. Eine weitere Schwierigkeit ist, das die meisten Politiker gar nicht vorstellen können, was in den Schulen heute „abgeht“. Die Schule des letzten Jahrhunderts gibt es in der inneren Struktur nicht mehr – vielfach aber leider noch in der Ausstattung in finanzklammen Gemeinden und Städten. Und auf Baden-Württemberg geschaut hat der Landesrechnungshof mit seinen falschen Prognosen im Jahre 2011 die damaligen Regierungsparteien geradezu ermutigt, Lehrerstellen abzubauen. Und die Politik ist dem willig und gedankenlos gefolgt. Und so stehen wir, wo wir heute stehen: steigende Schülerzahlen bei eklatantem Lehrermangel, fehlende Förderung in den Grundtechniken der menschlichen Kommunikation (z.B. Sprachförderung deutscher Schüler in der Grundschule? – Fehlanzeige!) gegenseitige Schuldzuweisungen der Parteien, Klimmzüge und Rettungsversuche allenthalben.
Fazit des VBE
Der VBE hat es vorausgesehen und rechtzeitig seine Forderungen gestellt. Seit vielen Jahren fordern wir eine Lehrerreserve von 6 Prozent. In den Jahren, in denen die Lehrkräfte mutwillig nicht eingestellt wurden, hätte man diese Reserve aufbauen können. Die Politik wollte es nicht hören. Heute -2018- ist das Geld wohl oder übel da, nur die Lehrkräfte muss man mit der Lupe suchen. Man bedenke: jede Münze hat zwei Seiten.