Schule, Schulleitung und Schulverwaltung weiterentwickeln – VBE Fachtagung stellt die richtigen Fragen

„Alles steht Kopf. Fachkräftemangel und ChatGPT bringen unsere Schulen aus der Balance. Heute wollen wir die Dinge wieder auf die Füße stellen!“ Mit diesen Worten eröffnete Moderator Lothar Guckeisen die 7. Fachtagung des VBE für Schulleitung, Schulaufsicht und Schulverwaltung in der Fellbacher Schwabenlandhalle. Landesweit reisten Schulleiter und Schulrätinnen an, um sich mit hochkarätigen Gästen aus der Politik und dem VBE-Vorsitzenden Gerhard Brand über aktuelle Entwicklungen im Schulwesen auszutauschen.

 

In seiner Begrüßungsrede warnte der VBE-Vorsitzende vor einer immer höheren Taktung im Bildungswesen: „Wir nähern uns einer Grenze“. Schulen, Schulaufsicht und Schulverwaltung seien gleichermaßen von der steigenden Arbeitsbelastung betroffen. Dem VBE gelinge es zwar, durch medienwirksame Auftritte „die Mangelverwaltung in der Schule sichtbar zu machen und dafür ein öffentliches Interesse zu generieren“. Das Problem in der Aufsicht und der Verwaltung aber sei „deren Unsichtbarkeit in der Öffentlichkeit“, so der VBE-Chef. Mit seiner Rede erinnerte er daran, dass starke Schulen immer auch eine starke Verwaltung voraussetzen.

Wenn Zeit in den Schulen und der Schulverwaltung ein immer knapperes Gut werde, stelle sich außerdem immer dringender die Frage nach den Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität, Berufszufriedenheit und Gesundhaltung. „Die Folgen wiegen schwer“, mahnte der VBE-Vorsitzende. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer fielen mit physischen und psychischen Erkrankungen langfristig für den Unterricht aus. Gleichzeitig habe sich die Zahl der mit ihrem Job unzufriedenen Schulleitungen seit 2018 mehr als vervierfacht. Brand verwies auf die Ergebnisse einer für Baden-Württemberg repräsentativen forsa-Studie des VBE.

VBE-Chef fordert konkrete Maßnahmen der Entlastung und Gesundhaltung

Mit Blick auf Corona, den Ukraine-Krieg und das Ausbrechen des Nahost-Konfliktes nahm der VBE-Chef die politisch Verantwortlichen des Landes aber auch ein Stück weit in Schutz. Politik könne nicht auf alles vorbereitet sein. Allerdings: „Die Krisen haben bestehende Schwachstellen offengelegt und gleichzeitig neue Lücken gerissen. Als Dienstherr und Arbeitgeber stehe ich gerade in solchen Situationen in der Pflicht, zu schauen, wie ich mit meinem Personal umgehe und was ich ihm zumuten kann.“

Für die Kolleginnen und Kollegen an der Basis forderte Brand konkrete Entlastungen und mehr Investitionsmut seitens des Landes. An erster Stelle nannte er mehr Anrechnungsstunden für die Erfüllung besonderer Aufgaben. Daneben mahnte er eine Erhöhung der Leitungszeiten und die Ausstattung aller Schulen mit multiprofessionellen Teams an. Für die Gesundhaltung der Kolleginnen und Kollegen forderte er außerdem den Einsatz von Fachpersonal wie zum Beispiel Psychologen oder Supervision, die Schaffung von Ruhe- oder Rückzugsräumen und eine deutliche Reduzierung der Verwaltungsarbeiten.

Podium diskutiert Einsatz digitaler Werkzeuge und künstlicher Intelligenzen

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit den bildungs- und schulpolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen warf Moderator Guckeisen die Frage auf, ob der Einsatz digitaler Tools und künstlicher Intelligenzen eine Chance oder ein weiteres Risiko für die Schulen darstelle. Er wies auf die Empfehlung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission hin, die neuen digitalen Möglichkeiten zur Bekämpfung des Lehrermangels einzusetzen. Die Antworten der Diskutanten fielen überraschend einhellig aus. Auch in einer digital vernetzten Welt sei klar: „Auf die Lehrkraft kommt es an!“, wie es etwa der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dr. Timm Kern, auf den Punkt brachte.

Einig war sich die Runde auch, dass ein Verbot von Programmen wie ChatGPT an Schulen der falsche Weg sei. „KI gehört zum Alltag, zum Leben und damit auch in die Schule. Wir müssen die Kinder befähigen, mit künstlicher Intelligenz umzugehen“, so die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Katrin Steinhülb-Joos. Ihr Pendant aus der Grünen-Fraktion, Thomas Poreski, forderte insbesondere die Vermittlung von „Future-Skills, also von überfachlichen Kompetenzen, die neben dem Fachwissen künftig an Gewicht gewinnen müssen.“

Praktische Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenzen sah die Podiumsrunde vor allem auf dem Gebiet der Diagnostik. „Ich könnte mir vorstellen, dass es auf der pädagogischen Seite eine Unterstützung bringt. Künstliche Intelligenz kann beispielsweise ziemlich präzise erkennen, ob Kinder einen bestimmten Förderbedarf haben“, so der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Dr. Alexander Becker.

„G9 hätte massive Auswirkungen auf den Haushalt und die Kommunen“

Im zweiten Teil der Veranstaltung referierte Staatsekretärin Sandra Boser über den Umgang mit Fachkräftemangel. Dieser stelle heute eine europaweite Herausforderung dar. „Selbst die Schweiz hat massive Probleme, ihre Lehrerstellen zu besetzen“, so Boser. Die Staatssekretärin betonte, dass ihr eigenes Haus das Problem erkannt und ein ganzes Bündel an Maßnahmen ergriffen habe. Mit der Einstellung von Gymnasiallehrkräften an Grundschulen und Sek-I-Schulen, dem Direkteinstieg oder dem Aufruf zur Aufstockung von Teilzeit habe man bereits hunderte Deputate schaffen können.

Boser wies jedoch auch auf die Probleme bei der Schaffung neuer Stellen hin. Allein für den Ausbau der 175 neuen Studienplätze in der Sonderpädagogik habe das Ministerium zweieinhalb Jahre gebraucht. „Die Hochschulen haben weder die Räume noch das pädagogische Personal, um schneller ausbauen zu können.“ Gleichzeitig würden der Landeshaushalt und die zur Verfügung stehenden Finanzmittel klare Grenzen ziehen. Mit der Diskussion um die Rückkehr zu G9 verschärfe sich die Lage nochmals zusätzlich. „G9 hätte massive Auswirkungen auf den Haushalt und die Kommunen“, warnte Boser.

Gedankenspiele sind das Trainingslager für eine gelungene Zukunft“

Abgerundet wurde die Fachtagung schließlich durch den bundesweit nachgefragten Top-Speaker Christoph Holz. Auf eine unvergleichlich humorvolle und gedankenreiche Weise ging der studierte Raumfahrttechniker, Hochschullehrer und selbsternannte Cyborg der Frage nach, wie künstliche Intelligenzen unsere Gesellschaft und Bildung auf den Kopf stellen. In mehreren Gedankenexperimenten lud er die Schulleiterinnen und Schulräte auf eine Reise in die digitale Zukunft ein. Wird es künftig noch Schulen geben? Oder Lehrer? Kann sich die ganze Struktur einer Gesellschaft verändern? Gedankenexperimente sagen die Zukunft nicht voraus. Aber sie können komplexe Veränderungen gestaltbar machen, sie spielen mit dem Möglichen. „Gedankenspiele sind das Trainingslager für eine gelungene Zukunft“, so Holz.