VBE Stichwort: Seit Jahrzehnten das Gleiche: Die Sommerferien nahen, Lehrkräfte geben zum Schuljahresende nochmals alles, aber wie bei einem 100 m-Lauf gehen vielen -auch Schülern- die Kräfte aus. Dies macht das Unterrichten nicht leichter. Zum normalen Schultags-Wahnsinn kommen für Lehrkräfte Konferenzen, Abstimmungsgespräche mit am Schulleben Beteiligten, Abwägen der richtigen Zeugnisformulierungen, Schreiben derselben, Abschlussfeste, Ausblick-Gespräche für das kommende Schuljahr.
Eine lange zusätzliche Arbeitsliste, die dann in dem Satz in der Schlusskonferenz gipfelt: „Also fürs kommende Schuljahr ist alles klar: Kollegin A übernimmt die Klasse 1a … bis Kollege Z übernimmt die 10c. Unsere Lehrerversorgung ist soweit gesichert, wir haben zusätzlich einen Kollegen, der als Krankheitsreserve von Klasse zu Klasse springt. Wie es der Verwaltungsvorschrift entspricht, beginnt der erste Unterrichtstag nach Plan…
Liebe Kollegin, lieber Kollege,
vielleicht wollen Sie an dieser Stelle nicht weiterlesen, weil Sie sich in Utopia wähnen. Wer noch keine zehn Jahre im Dienst ist, kann sich das oben Geschriebene vielleicht gar nicht vorstellen, dass es so einmal gewesen sein könnte. Und doch, die meisten Schuljahre meines jüngst zu Ende gegangenen Lehrerlebens entsprachen dem obigen Bild. Nur, was sich in den letzten 10 bis 15 Jahren schleichend in der Schullandschaft etabliert hat, wird für unser Land so schlimme Auswirkungen haben, dass Politik und Schulverwaltung sich gar nicht bemühen müssen, die Schwarzen Peter hin- und herzuschieben. Alle, aber auch wirklich alle Verantwortlichen, haben Anteile daran, dass „Qualität“ in der Bildung ein Fremdwort bleibt.
Stichwort: „Nicht die Vergangenheit, die Gegenwart ist unsere Zukunft“ (Autor: Josef Klein erstmals in VBE-Magazin 10-2019)
Mit Recht verweist die Kultusministerin und ihre CDU auf Lasten, die die grün-rote Vorgänger-Regierung zu verantworten hat. Man ist geneigt, zurückzuschauen und zu sagen. „Ja, das stimmt!“ In Zeiten der Lehrerknappheit im Jahre 2012ff. zusätzlich 11 600 Stellen streichen zu wollen, war einfach dreist. Wir sollten aber lieber zuerst auf die Gegenwart schauen. Seit Jahrzehnten fordert der VBE einen Lehrerbedarfsplan, um Fehlplanungen in der Lehrerzuweisung zu vermeiden. Natürlich ist uns bewusst, dass alles, was heutzutage an Zukunftsweisendem auf den Weg gebracht würde (!), erst in Jahren Verbesserungen hervorrufen kann. Dennoch wollen wir festhalten, dass erstmals diese grün-schwarze Regierung dem VBE-Ansinnen gefolgt ist. „Modellrechnung“ heißt die Überschrift. Da wird gerechnet und festgestellt und Zahlen hin und hergeschoben. Und das, was man als kleinstmögliche Anforderung vertreten kann, das wird dann auf Papier geschrieben. Keine Rede von durchgehenden Zweitbesetzungen bei der Inklusion, keine Rede von einer nennenswerten Lehrerreserve. Das eine, die Inklusion, wurde letztlich vom Land abgesegnet und gewünscht, das zweite ist für eine erfolgreiche Schularbeit bitter notwendig. Weiterhin steht Ethik in allen Klassenstufen auf der ministeriellen Wunschliste, ohne dass jemand weiß, an welchem Fädelchen gezogen werden muss, damit mit diesem Ansinnen endlich begonnen werden kann. „Man“ lässt die Lehrkräfte a) im Regen stehen b) „einfach mal machen“. Zusammenfassend: Die Modellrechnung vom Februar 2019 (Lehrerbedarf bis 2030 10 600 Stellen) ist absolut knapp bemessen und bereits wieder veraltet. Im September 2019 stellt sich die ganze Misere in den Schulen dar: Die Presse überschlägt sich bereits zum Schuljahresbeginn mit Meldungen von fehlenden Lehrkräften an den einzelnen Schulen.
„Der Fehler liegt im System“ attestieren Elternvertreter
„Der Fehler liegt im System“, stellt ein Vater bei einer öffentlichen Veranstaltung mit der Kultusministerin fest; diese widerspricht nicht. Vielleicht meint sie die vielen jungen Kolleginnen, die in den letzten Jahren -Gott sei Dank- eingestellt wurden. Eine biologische Konsequenz daraus ist, dass viele von Ihnen Nachwuchs bekommen und wochenweise -mit Elternzeit gerechnet jahrelang- ausfallen. Der Modellrechnung ist dies nach wie vor egal. Schwangere, die am ersten Schultag dienstbereit sind, werden als volle Kraft für die Schule gerechnet. Und wenn diese dann als Lehrkraft ausfallen, greift man gerne auf die nicht vorhandene -da nie ernsthaft gewollte- Lehrerreserve zurück. So einfach geht das. Ich kenne eine Schule, in der der Schulleiter vor Schulbeginn die Presse über ausreichende Lehrerversorgung informierte. Zwei Wochen nach Schulbeginn musste er -wieder über die Presse- die Notbremse ziehen: zwei Lehrkräfte waren bereits nicht mehr einsatzfähig. Und so wie das Radio bei Unglücksszenarien den Satz herab“mühlt“: „Zu keiner Zeit hat für die Bevölkerung eine Gefahr bestanden!“, so erklingt im Schulbetrieb gebetsmühlenartig der Satz: „Das Schulamt bemüht sich sehr, die Situation baldmöglichst zu entschärfen!“ Für mich haben beide Sätze den gleichen Wahrheitsgehalt und die gleiche Halbwertszeit.
1997 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog seine berühmte „Ruck-Rede“ gehalten. Übrigens würde es sich lohnen, die im Internet in vollem Wortlaut zur Verfügung gestellte Rede auch heute wieder einmal durchzudenken. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.“ Ein wesentlicher Bestandteil seiner Rede war die Bildung, ohne die die Zukunft nicht gestaltet werden kann. Und was ist seither passiert? Der Lehrermangel hat sich vergrößert, die Schüler halten -wie man so schön verschleiernd formuliert- deutlich mehr pädagogische Herausforderungen parat. Die Elternrechte wurden gestärkt, ohne dass man sie (die Eltern!) durch Fortbildungen befähigt hätte, auf Augenhöhe mit den Lehrkräften Entscheidungen fällen zu können.
Als ob Roman Herzog dies vorausgesehen hätte, stellte er in einer Rede im Jahre 2004 fest: „Die ganze Gesellschaft leidet bei uns an eingeschlafenen Füßen, die allerdings bis ans Hirn führen.“ Wenn ein Bundespräsident dies sagt, soll ich dem widersprechen?
Stichwort: Gebetsmühlen
Aus der Praxis des langandauernden Drehens einer Gebetsmühle im Buddhismus leitet sich das fast immer abwertend gebrauchte Adjektiv „gebetsmühlenartig“ ab, welches das monotone und anhaltende Wiederholen eines Gedankens oder eines Sinnzusammenhangs beschreibt. Und solche Fakten gibt es genug. Zum Schuljahresanfang werden sie besonders wahrgenommen. Eine immer wieder gern gehörte und geglaubte Mär ist die „100-Prozent-Versorgung“, die die Medien alibihaft aufgreifen. Dass „100 Prozent“ definierbar und damit kaugummihaft dehnbar sind, wird oftmals geflissentlich unterschlagen. Gehört der Schulchor zu 100 Prozent dazu? Die dritte Turnstunde? Der Stützkurs? Oder sind alle drei Zugabe? Die Politik bestimmt es, und wir an der Basis baden es aus. (Oh sorry, nicht einmal das können wir mehr in alter Gewohnheit, da ja immer mehr Schwimmbäder geschlossen werden – siehe auch: Schwimmfähigkeit der Grundschüler).
Eine weitere Gebetsmühle ist die Forderung nach mehr Lehrerausbildungsplätzen an den Hochschulen und im gleichen Zuge die Forderung der Kultusministerin, dass verhindert werden müsse, dass so viele junge Studierende die Ausbildung abbrechen. Das einzige, was festgestellt werden muss, ist: wer Lehrer/in werden möchte und sich dazu berufen fühlt, der/die muss einen Studienplatz bekommen. Wer aber spätestens nach dem Praxissemester merkt, dass es sich keinesfalls um den Wunschberuf handelt, für den man sich da ausbilden lässt, für diese Person und die möglichen späteren Schüler ist es doch sinnvoller, wenn man sie ziehen lässt. Und worüber niemand gerne redet, was aber trotzdem Tatsache ist. Muss jeder (Jung-)Lehrer Bock darauf haben, sich mit aufmüpfigen, rechthaberischen Schülern und Eltern anzulegen? Psychische und körperliche Gewalt an Lehrkräften in den Schulen ist zum Thema geworden. Wer schützt uns davor? Wer wollte da mit und bei aller Gewalt Lehrkraft werden?
„Kurze Beine – kurze Wege!“ Über die Grundschulen gibt es besonders viele sinnige und unsinnige Aussagen. Obige wird erweitert durch „Kleinere Schuhgrößen – kleinere Gehälter“. Das Augenmerk fällt in diesen Tagen (immerhin wird gerade “100 Jahre Grundschule“ gefeiert) auf die leiseste und erfolgreichste Schulart – die eigentliche Gemeinschaftsschule (!). Wie wird von der Politik die Arbeit der Grundschullehrerinnen gelobt und ihnen gleichzeitig die gerechte Alimentation nach A 13 vorenthalten? Warum werden Schulleiter/innen kleiner Grundschulen wenig wertschätzend behandelt? Die Klassengrößen schnellen wegen des Lehrkräftemangels wieder nach oben, Altersermäßigung und Anrechnungen werden klein gehalten statt erweitert. Im Schulsystem haben die in der Grundschule Beschäftigen die meisten Benachteiligungen zu erleiden, ob die Politik das wahrhaben möchte oder nicht. Der Gerechtigkeit halber wollen wir noch feststellen, dass es den SBBZ nicht viel besser geht. Warum die SBBZ nicht so viel jammern? Sie drehen sich im Hamsterrad. Sie können es nicht mehr! Bleibt noch festzustellen: das, was die Grundschulen heute erleben, hat sich in fünf Jahren voll in die weiterführenden Schulen fortgepflanzt: Also Lehrkräfte in den Sekundarstufen: Behaltet eure Tränen für euch: ihr werdet sie noch brauchen. Und wenn es euch mal nicht so gut geht, belegt ihr einfach ‚on top‘ eine Fortbildung zur Lehrergesundheit. Ja, ‚man‘ ist fürsorglich zu euch.
Stichwort: Kopf hoch, Baden-Württemberg
Ja, Herrgott noch einmal, gibt es denn nichts Positives mehr in unserem Musterländle? Doch! Als am positivsten finde ich, dass die Kultusministerin nichts beschönigt. Sie sagt, wie es ist. Das habe ich vor Jahren auch schon anders erlebt, als Schulamtsdirektoren zu Beginn des Schuljahres vom Kultusministerium die Pressemitteilung zugeschickt bekamen, was sie den Medien über die „gute“ Lehrerversorgung im jeweiligen Schulkreis mitzuteilen haben. Nur über die Qualitätsfrage macht sich die Ministerin noch Illusionen. Ich würde das Q-Wort in den nächsten Jahren nicht mehr in den Mund nehmen ohne rot zu werden. Die Politik hat die Bildung in unserem Ländle heruntergefahren und nun soll sie sich gefälligst im Ergebnis, das die Bildungsmonitore kontinuierlich auswerfen, suhlen. Wir sind nicht mehr Spitze, basta!
Positiv ist aber auch, dass wir es jetzt endlich geschafft haben, bei den Bildungsausgaben über den Durchschnitt der OECD-Länder gerutscht zu sein. Geschafft hat Baden-Württemberg dies durch die Investitionen im Kindergarten- und Hochschulbereich. Das „Gute-KiTa-Gesetz“ spült weitere rund 729 Millionen Euro bis zum Jahr 2022 in die Kitas von Baden-Württemberg. Noch ist damit der Fachkräftemangel nicht behoben, aber man ist doch geneigt anzuerkennen, dass die Politik gemerkt hat, dass ein Ruck durch die Bildung gehen muss (siehe Roman Herzog). Wir halten aber fest: in den Schulen sind die wenigsten zusätzlichen Mittel für Bildungsausgaben angekommen. Auch die jüngst beschlossenen Digitalpaktmittel werden erst bis 2024 in voller Höhe wirksam, wenn (!), ja wenn bis dahin das Land flächendeckend mit Breitbandleitungen übersät ist. Überall besteht deutlicher Nachholbedarf. Und in den Kommunen reden die Verantwortlichen schon wieder davon, die Größe der Gruppen in den Kindergärten anzuheben, weil weder Platz noch Personal in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen. Eigentlich weiß man gar nicht mehr, was man dazu sagen soll außer: „Nix kapiert, sechs, setzen!“