„Die Mangelversorgung führt auch in diesem Schuljahr zu erheblichen Einschnitten im Schulbetrieb. Jede dritte Grundschule hat bereits mit Unterrichtsausfällen zu kämpfen. An den weiterführenden Schulen setzt sich die Unterversorgung nahtlos fort. Am heikelsten aber bleibt die Lage ausgerechnet in dem hochsensiblen Bereich der Sonderpädagogik“, erklärt der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand angesichts der Ergebnisse einer landesweiten Schulumfrage.
In der dritten Schulwoche vom 25. bis 29. September 2023 hat der VBE eine Umfrage zur Unterrichtsabdeckung in Baden-Württemberg durchgeführt. Landesweit haben sich 1.008 Schulen daran beteiligt, darunter 612 Grundschulen, 263 Schulen der Sekundarstufe 1 sowie 133 Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ). Geantwortet haben jeweils die Schulleitungen. Da einige Fragen bereits in der Umfrage 2022 gestellt wurden, sind entsprechende Vergleiche möglich.
Grundschule
Die Schulleitungen wurden zunächst gefragt, wie sie an ihrer eigenen Schule mit Lehrkräften versorgt sind. Der Normalfall sollte eine Versorgung von mindestens 100 % sein – alle Lehrerstellen sind besetzt und der Unterricht kann wie vorgesehen stattfinden. Eine solche Versorgung weist aktuell jedoch nur jede dritte Grundschule auf (32,8 %, 2022: 28,9 %) – immerhin: Im Vergleich zu letztem Schuljahr ist dies eine leichte Verbesserung um rund 4 Prozentpunkte.
Gut jede zweite Grundschule (56,5 %) kämpft dagegen mit Personallücken von bis zu 10 % und jede zehnte Grundschule (11,6 %) mit noch größeren Lücken. Gerhard Brand: „Eine vollumfängliche Bildung auf dem geforderten Niveau ist somit nicht mehr möglich.“
Infolge der Unterversorgung kann wie letztes Schuljahr jede zehnte Grundschule (10,6 %, 2022: 9,8 %) den Regelbetrieb nicht abdecken. Außerdem müssen rund vier von zehn Grundschulen (37,8 %) Klassen zusammenlegen und gut jede dritte Grundschule (36,4 %) hat mit Unterrichtsausfällen zu kämpfen. An jeder zweiten Grundschule (51,3 %) müssen die Lehrkräfte bereits MAU-Stunden, also Mehrarbeit leisten.
Gerhard Brand: „MAU-Stunden dürfen nur bei zwingenden dienstlichen Gründen angeordnet werden und erst dann, wenn andere Maßnahmen bereits erschöpft sind. Zu diesen Maßnahmen zählen etwa der Einsatz der Krankheitsreserve, die Aufstockung von Teilzeit oder der Wegfall von ergänzenden schulischen Angeboten. Wenn nun bereits zum Schulstart jede zweite Grundschulleitung nicht auf die Anordnung von Mehrarbeit verzichten kann, wird klar, wie prekär die Lage ist. Ernüchternd ist dann auch die Erkenntnis, dass die Krankheitsreserve bereits in der dritten Schulwoche aufgebraucht ist. Angesichts dieser Bedingungen darf es niemanden verwundern, dass die Bewerberzahlen auf das Lehramt Grundschule zusammenbrechen und sich in den letzten zehn Jahren mehr als halbiert haben.“
Sekundarstufe 1 (Sek 1)
Nur jede sechste Sek-1-Schule (16,4 %, 2022: 10,4 %) befindet sich mit einer Versorgung von 100 % im grünen Bereich – immerhin: Letztes Schuljahr war es nur jede zehnte. Gut jede zweite Sek-1-Schule (53,2 %) kämpft mit Versorgungslücken von bis zu 10 % und knapp jede dritte Sek-1-Schule (30,4 %) mit noch größeren Lücken. Besonders heikel: Jede zwölfte Schule (8,4 %) fällt sogar unter die 80-Prozentmarke.
Die Folgen der Unterversorgung sind beträchtlich: Jede fünfte Schule (19,8 %, 2022: 20,1 %) gibt an, den Regelbetrieb nicht leisten zu können. Sechs von zehn Schulen (62,7 %) kämpfen mit Unterrichtsausfällen. An gut jeder zweiten Schule (53,6%) müssen die Lehrkräfte bereits MAU-Stunden, also Mehrarbeit leisten und drei von zehn Schulen (28,9 %) müssen Klassen zusammenlegen. An jeder vierten Schule (24,3 %) müssen außerdem Personen ohne Lehramtsausbildung in Vertretung unterrichten.
Gerhard Brand: „Auch im Sekundarbereich kommt es zu erheblichen Einschnitten im Schulalltag, großen Einbußen in der Unterrichtsqualität und beträchtlicher Mehrarbeit für die Lehrkräfte. Die These einer besseren Versorgung der Sekundarschulen ist nicht länger aufrechtzuerhalten. Sie trifft allenfalls auf den hier nicht erfassten gymnasialen Bereich zu.“
Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ)
Wie im letzten Schuljahr sind auch in der diesjährigen Umfrage die gravierendsten Personallücken an den SBBZ zu finden: Von 133 an der Umfrage beteiligten SBBZ sind nur drei Schulen vollversorgt, was einer ernüchternden Quote von zwei Prozent entspricht (2,2 %, 2022: 3,2 %). Jedes vierte SBBZ (25,6 %) hat Personallücken von bis zu 10 % und sieben von zehn SBBZ (71,2 %) kämpfen mit noch größeren Lücken. Besonders heikel: Mehr als jedes dritte SBBZ (36,8 %) fällt sogar unter die 80-Prozentmarke.
Infolge der Mangelversorgung kann ein gutes Drittel aller SBBZ (34,6 %, 2022: 38,0 %) den Regelbetrieb nicht abdecken. Rund jedes zweite SBBZ (46,6 %) kämpft mit Unterrichtsausfällen. Ebenfalls rund jedes zweite SBBZ muss Klassen zusammenlegen (48,1 %) oder Personen ohne Lehramtsausbildung in Vertretung unterrichten lassen (48,9 %).
Gerhard Brand: „Die Beschulung am SBBZ ist ein maßgeschneidertes Angebot zum Wohle beeinträchtigter Kinder. Dass es das Land nicht annährend schafft, diese Schulen mit ausreichend Personal zu versorgen, gleicht einer Bankrotterklärung.“
„Das Ministerium betont, am Standort Freiburg 175 zusätzliche Studienplätze für die Sonderpädagogik geschaffen zu haben. Eine kurze Überschlagsrechnung zeigt jedoch, wie spärlich diese Maßnahme ausfällt. Im Schuljahr 2022/23 lag die Anzahl der Schülerinnen und Schüler am SBBZ bei 53.500 – die privaten SBBZ eingerechnet. Laut Angaben des Statistischen Landesamtes wird diese Zahl in den nächsten acht Jahren voraussichtlich auf 56.800 ansteigen. Weiter gibt das Statistische Landesamt durchschnittlich rund acht Kinder je Klasse in einem SBBZ an. Demnach entstehen allein in den nächsten acht Jahren über 400 neue Klassen und ein entsprechender Bedarf an Lehrerstellen. Die bereits vorhandenen Versorgungslücken sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Der Studienausbau muss folglich gerade in der Sonderpädagogik weiter vorangetrieben und massiv beschleunigt werden.“
Forderungen
Um den Lehrkräftemangel wieder in den Griff zu bekommen, fordern die befragten Schulleitungen schulartübergreifend mehr Wertschätzung seitens Politik und Schulverwaltung, A 13 für alle Lehrkräfte, mehr Studienplätze und wirksame Maßnahmen zur Entlastung der Schulen.
Um den Unterricht zu sichern und allen Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften wieder einen normalen Schulalltag zu ermöglichen, fordert der VBE:
- Ein am tatsächlichen Bedarf ausgerichteter Ausbau der Studienplätze und Wegfall des Numerus clausus (ist im gymnasialen Bereich bereits üblich)
- Stärkung des originären Lehramtsstudiums: Bessere Studienberatung, engere Studienbegleitung und mehr Praxisphasen
- A 13 als faire und gleiche Bezahlung für alle Lehrkräfte, um den Beruf attraktiv zu halten und wettbewerbsfähig zu bleiben
- Entlastung der Schulen durch den flächendeckenden Einsatz multiprofessioneller Teams
- Entlastung der akut gefährdeten SBBZ durch pragmatische Modelle der Inklusion: Modell der Außenklassen, Schwerpunktschulen für Inklusion
Weitere Infos
Die Ergebnisse der Umfrage hat der VBE heute auf einer Landespressekonferenz im Medienzentrum des Landtags vorgestellt. Nachfolgend finden Sie:
Die Pressemeldung des Kultusministeriums zum Schuljahresstart lesen Sie hier.