Der VBE: Grundschule – in aller Munde

VBE Gemeinsam Ganztag gestalten

Während viele Kolleginnen und Kollegen an Haupt- und Werkrealschulen um ihre berufliche Perspektive in der Zukunft bangen, die Kolleginnen und Kollegen an den Gemeinschaftsschulen und Realschulen sich den Anschein nach in einem „Konkurrenzkampf“ um ihre zukünftige Position im Bildungswesen befinden, ebenso wie Kolleginnen und Kollegen in den allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien, steht eine Schulart „wie eine Eins“ ruhig und stabil eher im (vergessenen) Hintergrund: die Grundschule! Und während in den anderen Schularten der Eindruck entstehen könnte, dass die Statusfrage der jeweiligen Schulart im Mittelpunkt stünde, kämpft die Grundschule zuverlässig wie eh und je um die Bildung, Erziehung, Lebensperspektiven und Schulbiografien ihrer Schülerinnen und Schüler – ohne Rücksicht auf Herkunft, Hautfarbe, Bildungsstand und sozialen Status ihrer Kinder.

Dabei kann nicht übersehen werden, dass in einer sich verändernden Gesellschaft auch die Aufgabenfelder für die Grundschule vielfältiger, komplizierter, komplexer und anstrengender geworden sind. Die Politik hat in meiner über 40-jährigen Tätigkeit in und für die Grundschule durchaus im Laufe der Jahre die erschwerenden Zuwächse und die Bedeutung der frühen Jahre aus den Erkenntnissen der Hirnforschung und der Psychologie für den lebenslangen Lernprozess unserer Kinder erkannt. Aber die jahrelangen Forderungen des VBE nach Verbesserung der Situation, wie zum Beispiel verlässliche Stütz- und Förderstunden, Erweiterung des Ergänzungsbereichs, Ethikunterricht, Stundentafelangleichung an den Bundesdurchschnitt, Klassenlehrerstunden, Verbesserung der Leitungszeit und vieles mehr, blieben weitgehend ungehört und führten zu wenig zählbaren Verbesserungen. Die Einrichtung von Bildungshäusern und das Projekt „Schulreifes Kind“ im Kooperationsbereich „Übergang“ die ersten zählbaren Größen.

In  den letzten Monaten allerdings hat sich das Denken um die Grundschule doch etwas gewandelt! In allen politischen Gesprächen des VBE mit Parteien im Landtag, dem Kultusminister und mit dem Ministerpräsidenten war die Erkenntnis zu spüren, dass die Arbeit der Grundschule eine deutliche Aufwertung erfahren müsse. Das lässt – unabhängig vom Wahlausgang im März – auf die Zukunft hoffen.

Auch unser Kultusminister Andreas Stoch hat die Situation der Grundschule im besonderen Fokus.So kann ich von einem gelungenen Kongress in Bad Cannstadt am 07. Dezember 2015 berichten:

„Die Grundschule: kindgerecht und zukunftsfähig“

„Die Grundschule ist entscheidend für eine gelingende Bildungsbiografie. Ihr Auftrag ist es, den unterschiedlichen Stärken und Lernentwicklungen der Kinder gerecht zu werden und die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Kindes zu fördern. Mit dieser wertvollen Aufgabe legt die Grundschule das Fundament für eine erfolgreiche Schullaufbahn“. Mit diesen Worten eröffnete Kultusminister Stoch vor ca. 400 Teilnehmern den Kongress und machte deutlich „Unsere Grundschulen bieten den Kindern Raum, ihr Lernpotenzial entfalten zu können. Sie ermöglichen ihnen, grundlegende Kompetenzen zu erwerben, auf denen der Unterricht der weiterführenden Schulen aufbaut. Deshalb werden wir die Grundschulen bei ihren Aufgaben noch stärker unterstützen“. Natürlich hat es unser Kultusminister nicht versäumt, auch auf die Erfolge der letzten Regierungsjahre zu verweisen:

1. Übergänge gestalten:

Während Staatssekretärin Marion v. Wartenberg betonte, dass eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft auf Augenhöhe zwischen Erzieherinnen/Erziehern, Grundschullehrkräften und Eltern entscheidend sei, dass Kinder diesen Übergang nicht als Bruch, sondern als natürliche Fortsetzung erleben. Der Kultusminister verwies auf die Verbesserung der verlässlichen Kooperationszeit für 2.500 Schulen, was seit 2012/13 einer Kooperationsstunde pro Schule entspricht und einem Aufwand von 90 Deputaten gelichkommt.

Meinung des VBE dazu:

Der VBE begrüßt diese Verbesserung, mahnt aber auch die schon verprochene nächste Stufe ein: eine Stunde pro 1. Klasse! Gerade für Grundschulen, die mit mehreren Kindergärten kooperieren, wäre damit eine neue Qualitätsstufe erreichbar. Und damit wäre auch eine Wertschätzung für die Kolleginnen und Kollegen verbunden, die über Jahre hinweg hervorragende Kooperationsarbeit leisten.

Ferner würde es die Situation vor Ort bei den betroffenen Schulen ungemein entlasten, wenn die beiden Projekte/Versuche „Bildungshaus“ und „Schulreifes Kind“ endlich sicher finanziert wären, damit die ständig wiederkehrende Planungsunsicherheit einmal vorbei wäre.

2. Verbesserung des Elternberatungsverfahrens:

Das Beratungswesen für die Eltern der Grundschulkinder im Übergangsverfahren soll durch den Neuentwurf aufgewertet werden. Zum einen soll ein jährlich dokumentiertes Beratungsgespräch zwischen Eltern und Schule, die Möglichkeit zum Ersatz des Schulberichtes in Klasse 3 mit einem dokumentierten Beratungsgespräch wie in Klasse 2 und zum anderen soll mit einer im Formblatt des Übergangsverfahrens dokumentierten inhaltlichen Beratung/Aufklärung über alle weiterführenden Schularten den Eltern geholfen werden, ein möglichst fundiertes Wissen über die Leistungssituation ihres Kindes zu erhalten. Diese Dokumentation muss bei der Anmeldung an der weiterführenden Schule vorgelegt werden.

Meinung des VBE dazu:

Nach dem Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ist natürlich eine qualitative Beratung zwischen Schule und Elternhaus als existentielle Komponente zu bezeichnen. Eltern müssen ein möglichst hohes Maß an Sicherheit im Umgang mit der Schulbiografie und der Leistungsfähigkeit ihrer Kinder erhalten. Ob dazu ein Gespräch pro Jahr wie vorgesehen ausreicht, bezweifelt der VBE, insbesondere dann, wenn die Nicht-Teilnahme der Eltern die Schule „ratlos“ stehen lässt!

Ferner bemängelt der VBE, dass die immer aufwändigere Beratungszeit der Grundschul–Lehrkräfte im Arbeitszeitkonto keine Rolle spielt! Somit wird Beratung „degradiert“ und als weniger wichtig dem Belieben der Betroffenen vor Ort anheimgestellt. Der VBE fordert ein verbindliches und umfassendes Beratungskonzept für die Grundschule als festen Bestandteil der Arbeitszeit der Lehrkräfte – insbesondere auch gerade für die zunehmende Zahl der Ganztagsgrundschulen!

3. Mehr Lernzeit:

Zum einen wird mit der aktuellen Planung die Lernzeit in den Grundschulen durch die Schaffung von 180 neuen zusätzlichen Stellen erweitert, sodass Grundschulen jetzt auf Antrag und auf Konzeptnachweis zusätzliche Stunden für Förderung bei Problemen im Lesen, Rechtschreiben, Sprachförderbedarf und Mathematik von den Staatlichen Schulämtern erhalten können. Zusätzlich Förderstunden waren bisher vom jeweiligen Pool der Schulämter abhängig.

Zum anderen wird die Lernzeit durch die Erweiterung der Stundentafel von 98 auf 102 Stunden in zwei Schritten erweitert. Der erste Schritt wird mit je einer Stunde Deutsch und Mathematik mit Inkrafttreten des neuen Bildungsplanes zum Schuljahr 2016/17 erfolgen. Dieser Schritt bedeutet für das Land eine Größenordnung von 320 zusätzlichen Deputaten.

Meinung des VBE dazu:

Grundsätzlich begrüßt der VBE jede sich bietende Möglichkeit, die Chancen und Potentiale der Grundschulkinder im individuellen Lernprozess zu verbessern. Bezogen auf den bundesweiten Vergleich bei den Kontingentstundentafeln hat Baden-Württemberg aufgeholt, aber noch nicht den Spitzenplatz erreicht, den man sich so gerne in anderen schulischen „Disziplinen“ zuschreibt. Aber immerhin ein großer Fortschritt.

Die langfristige Wirkung der zusätzlichen Lernzeiten lässt sich verlässlich erst nachweisen, wenn diese Stunden entweder im Organisationserlass, der den Stundenzuschlag für jede Schulart sichert, oder etwa wie in Bayern als zusätzliches Fach in der Stundentafel erscheinen. Aber der VBE begrüßt den ersten Schritt in diese Richtung. 180 neue Deputate entsprechen bei einer Verrechnung mit 28 Wochenstunden bei 2.500 Grundschulen immerhin einem Zuschlag pro Schule um 2 Stunden! Auch ein Fortschritt!

4. Ethikunterricht:

„Viele Kinder und Jugendliche setzen sich heute immer früher mit Fragen des menschlichen Zusammenlebens auseinander – beispielsweise auch im Hinblick auf die aktuelle Vielzahl gewaltsamer Konflikte in aller Welt. Mit der Einführung des Ethikunterrichts ab Klasse eins wollen wir die Vermittlung von Werten auch in der Grundschule künftig weiter stärken“, so Kultusminister Stoch in Bad Cannstatt. Daraus leitet er ab, dass es „als Zukunftsprojekt“ Ethik ab Klasse 1 geben wird.

Meinung des VBE dazu:

Der VBE fordert seit Jahren die Einführung des Ethikunterrichts, zuletzt im Gespräch des Landesvorstands mit Kultusminister Stoch in Stuttgart am 23.11.15. Insbesondere steht die Einführung des Ethikunterrichts in der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Regierung. Alle Bemühungen scheiterten aber bisher mit dem Verweis auf fehlendes Geld! Aber zum einen stehen immer mehr Kinder ohne Religionszugehörigkeit vor den Schultüren und zum anderen scheint die Werteerziehung in der aktuellen Entwicklung unserer Gesellschaft immer mehr eine tragende Komponente zu werden. Die Entwicklung im Flüchtlingsbereich verstärkt die Forderung natürlich immens. Da sich in politischen Gesprächen mit den Parteien nahezu alle zum Ethikunterricht positiv äußerten, sind wir gespannt, ob sich nach der Wahl das Erinnerungsvermögen erhalten wird!


 

Fazit aus der Sicht des VBE:

Der VBE begrüßt alle aufgeführten Verbesserungen der Situation in der Grundschule und hofft, dass sie im politischen Alltag auch erfolgreich umgesetzt werden. Es kann aber nicht unterbleiben, dass die Forderung nach Aufwertung der Grundschule als die Basis und der Einstieg für/in einen lebenslangen Lernprozess nicht kostenneutral erfolgen kann. Wer Bildungschancen von Anfang an sichern will, insbesondere in Baden-Württemberg unabhängig vom sozialen Status, und für eine ausreichende und tragfähige Lösung der Integration von Flüchtlingskindern sorgen muss, muss „Geld in die Hand nehmen“! Der aktuelle OECD-Bildungsbericht bestätigt Deutschland allgemein eine deutliche Unterfinanzierung der Grundschulen. Eine Finanzierung nach der Schuhgröße der Kinder ist ein Relikt aus der Bildungsvergangenheit. Vor oder besonders nach der Wahl werden wir unsere Politiker daran messen!

Möglichkeiten, der Grundschule etwas Gutes zu tun

Möglichkeiten zur Verbesserung der Schlüsselrolle der Grundschule im Bildungsgefüge gibt es genügend. Ich füge besonders für den politischen Betrachter eine Liste an, deren Studium die Sichtweise doch entscheidend verändern könnte:

  • „Differenzierungsstunden“ nach dem Modell der anderen Schularten als feste Zuweisung in der Stundentafel/im Organisationserlass: Sprachförderung, Spracherwerb, Inklusion, individuelles Lernen, Lernförderung, Coaching und anderes. Die Grundschule hat die gleichen Schülerinnen und Schüler wie die weiterführenden Schulen, nur 4 Jahre zuvor, unterrichtet diese im Klassenverband und benötigt dringend zusätzliche Möglichkeiten zur individuellen Förderung.
  • Weitere Erhöhung der Stundentafel nach dem Vorbild anderer Bundesländer
  • Höhere Grundzuweisung bei den Anrechnungsstunden (0,3 pro Klasse)
  • Sichere und planbare Kooperationsmodelle in der Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätten und Grundschule. HIER AM Beispiel der verlässlichen Fortführung erfolgreicher Modell wie Bildungshäuser und Schulreifes Kind.
  • Zuweisung der versprochenen 2. Stunde (1 Stunde pro 1. Klasse) für die Koop Kindertagesstätte-Grundschule.
  • Kooperationszeit ist gleich Arbeitszeit – Anerkennung als Anrechnungsstunden
  • Ausbau der Beratungskompetenz der Grundschul-Lehrkräfte, vorwiegend in Bezug auf Lern- und Schulwegeberatung
  • Beratungszeit mit Eltern, Ämtern, Ärzten, Therapeuten in Form von Anrechnungszeit
  • Weitere Verbesserung der Leitungszeit für Rektoren und Konrektoren, insbesondere für Ganztagsgrundschulen und kleine Schulen
  • Stellen für Konrektoren an allen Grundschulen
  • Sichere Ausstattung mit Schulsekretärinnen-Stunden
  • Qualifizierungsprogramme für A12-Lehrkräfte für den Weg nach A13
  • Studium von 10 Semestern wie alle anderen Lehramtsstudiengänge. Auf den Anfang kommt es an!

Otmar Winzer, stv. Landesvorsitzender – Dezember 2015