Forsa-Umfrage: Lehrkräfte stellen Landesregierung erneut schlechtes Zeugnis für Inklusion aus. Die schulische Inklusion ist, auch nach zwei Jahren, personell mangelhaft ausgestattet, das Personal ist schlecht vorbereitet und wird unzureichend unterstützt. Die Akzeptanz für eine gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung ist deutlich zurückgegangen. Das sind die zentralen Ergebnisse der repräsentativen VBE-Umfrage zur inklusiven Praxis in Baden-Württemberg.
Seit dem Schuljahr 2015/2016 haben Kinder mit einer Behinderung grundsätzlich das Recht, gemeinsam mit anderen Kindern an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet zu werden. Vor diesem Hintergrund hat der Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg jetzt zum zweiten Mal das Institut Forsa Lehrerinnen und Lehrer zu ihren Erfahrungen mit der Inklusion befragen lassen. Gerhard Brand, der Vorsitzende des VBE Baden-Württemberg sagt: „Die schon in der ersten Forsa-Umfrage 2015 aufgedeckten Mängel, zu große Lerngruppen, zu geringe sonderpädagogische Unterstützung und keine Vorbereitung auf die neuen Herausforderungen bestehen leider fast unverändert. Das sollte der Vorgängerregierung die Schamesröte ins Gesicht treiben und der neuen Landesregierung Ansporn sein.“
Praktisch alle Lehrer (94 Prozent) sind der Auffassung, dass es in inklusiven Schulklassen eine Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagoge geben sollte. Fast niemand (3 Prozent) hält dies für überflüssig. Wunsch und Wirklichkeit klaffen dabei weit auseinander. 53 Prozent der Lehrer, die in Schulen mit inklusiven Lerngruppen unterrichten, geben an, dass die Lerngruppe für gewöhnlich von einer Person unterrichtet wird.
Während 59 Prozent der Lehrer (ähnlich viele wie 2015) angeben, dass sie an ihrer Schule bereits Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten, hat sich die Klassengröße für 65 Prozent mit dem inklusiven Unterricht nicht verändert. Nach Angaben von drei Prozent der Lehrer wurde die Klasse sogar vergrößert.
Gut eingearbeitet fühlen sich die wenigsten. Dass die inklusiv unterrichtenden Lehrkräfte an ihrer Schule über keine sonderpädagogische Kenntnisse verfügen, sagen 54 Prozent der Lehrer. Ebenso viele bewerten das Fortbildungsangebot als mangelhaft oder schlechter. Insgesamt bekommt es die Durchschnittsnote 4,1. Nur drei von fünf Befragten haben an ihrer Schule die Unterstützung durch einen Sozialpädagogen oder Sonderpädagogen. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten hatte nur wenige Wochen Zeit, um sich auf inklusives Unterrichten vorzubereiten.
„Es ist fast so, als würde ein Hausarzt plötzlich am Operationstisch stehen. Die Grundkenntnisse sind zwar vorhanden, aber es fehlt die fachliche Übung und Vorbereitung“, sagt Gerhard Brand. So vergeben die Lehrer für die personelle Ausstattung die Durchschnittsnote 4,4. Brand kommentiert: „Wir erkennen an, dass die Landesregierung zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt hat. Aber es reicht nach wie vor bei weitem nicht, um Kinder mit und ohne Handicap die qualitative Förderung zukommen zu lassen, die erforderlich ist.“ Ein Beleg dafür ist aus Sicht des VBE, dass viele der ca. 2.500 Grundschulen in Baden-Württemberg keinen Sonderpädagogen haben, aber verpflichtet sind, sonderpädagogisch zu fördern.
Wegen der anhaltenden Kritik ist die Akzeptanz für Inklusion generell seit der letzten Befragung 2015, um 15 Prozent abgefallen. Unter der Voraussetzung, dass die finanzielle und personelle Ausstattung für einen inklusiven Unterricht sichergestellt wäre, halten aktuell nur noch 51 Prozent der befragten Lehrer eine gemeinsame Unterrichtung grundsätzlich für sinnvoll. Aber nahezu alle Lehrer (96 Prozent) sind dafür, dass auch bei Errichtung eines inklusiven Schulsystems die bisherigen Förder- und Sonderschulen alle (66 Prozent) beziehungsweise teilweise (30 Prozent) erhalten werden sollten.
Auf der Basis der aktuellen Umfrage stellt der VBE folgende Forderungen an die Landesregierung:
- Sicherstellung einer Doppelbesetzung aus Sonderpädagoge und Regelschullehrkraft in inklusiven Lerngruppen (+4.700 Volldeputate zusätzlich über alle Schularten hinweg). Sowie eine der Situation angemessene Personalausstattung an Sozialarbeitern, Schulpsychologen und medizinischer Assistenz (bei rund 4.100 allgemeinbildenden Schulen und einer vorhandenen Deckung von rund 40 Prozent bleibt bei Nicht-Berücksichtigung kleinster Schulen ein Personalbedarf von zirka 2.000 zusätzlichen Stellen).
- Qualitative hochwertige und in nötigem Umfang angebotene Fortbildungsmaßnahmen.
- Hinreichend Zeit zur Vorbereitung und Zeit für die Arbeit im Klassenteam, sowie Unterstützungssysteme für ihre Arbeit in inklusiven Settings.
- Sicherung und Ausbau der SBBZ zur Bereitstellung der fachlichen Expertise und der sonderpädagogischen Lehrkräfte.
Hier finden Sie den Sprechzettel von Gerhard Brand, VBE-Landesvorsitzender.
Die ausführlichen Ergebnisse der Forsa-Umfrage finden Sie in unserem Downloadbereich.
Hier sehen Sie den Vergleich zur Forsa-Umfrage vom Mai 2015.