„Von Sonntagsreden allein werden keine Kabel verlegt. In den letzten Monaten und Jahren wurde zwar viel über den Digitalpakt geredet und das viele Geld, das an die Schulen fließen soll. Doch während die Gesellschaft in Sachen Digitalisierung rasant fortschreitet, ist an den Schulen nur wenig passiert“, kommentiert Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), die Ergebnisse der forsa-Umfrage „Digitalisierung und digitale Ausstattung an Schulen“.
Die für Baden-Württemberg repräsentative Stichprobe einer bundesweiten Umfrage unter 1.232 Schulleitungen allgemeinbildender Schulen wurde heute vom VBE im Medienzentrum des Stuttgarter Landtags vorgestellt. Die Umfrageergebnisse, zu denen dem VBE Vergleichswerte von 2014 vorliegen, offenbaren, wie drastisch die digitale Ausstattung der Schulen dem gesellschaftlichen Wandel hinterherhinkt. So sagen nur vier von zehn Schulleitungen, dass es in allen Klassen- und Fachräumen Zugang zum schnellen Internet und WLAN gibt.
Zudem geben nur 37 Prozent der Schulleitungen an, dass es mindestens einen Klassensatz an Tablet-PC und Smartphones gibt. 2014 sagten dies 12 Prozent der befragten Lehrkräfte. „Wenn wir uns weiter in dieser Geschwindigkeit von plus 25 Prozentpunkten alle fünf Jahre bewegen, erreichen wir den Wert, dass alle Schulen Klassensätze digitaler Endgeräte haben, erst im Jahr 2032. Das ist Digitalisierung im Schneckentempo und entspricht sicher nicht den Ansprüchen an unser Bildungssystem“, so Brand.
VBE sieht „Bring your own device“ kritisch
Wenn die mobilen Endgeräte fehlen, greifen die Lehrkräfte notgedrungen auf die Methode „Bring your own device“ zurück. Etwa an jeder fünften Schule werden die Geräte der Schülerinnen und Schüler für den Unterricht genutzt. Gleichzeitig sagen rund 70 Prozent der Schulleitungen, dass einzelne Kinder gar kein Gerät haben. Fast die Hälfte der Schulleitungen gibt an, dass die Gefahr des Mobbings durch den Einsatz der Methode steige.
Der VBE-Landesvorsitzende nimmt die Politik in die Pflicht: „Wir verstehen das Bemühen der Lehrkräfte, trotz fehlender Ausstattung Medienkompetenz zu vermitteln. Der VBE setzt sich aber seit jeher dafür ein, dass der Bildungserfolg unabhängig vom sozialen Status der Eltern sein muss. Dafür hat die Politik zu sorgen. Es darf nicht sein, dass Kinder gemobbt werden, weil sie nicht über das neueste Smartphone verfügen und deswegen nicht am Unterricht teilnehmen können.“
Digitalisierung und digitale Ausstattung an Schulen erfordert IT-Fachkrätfe
Deutlicher Verbesserungsbedarf zeigt sich bei der Wartung der digitalen Infrastruktur. Zwei von drei Schulleitungen geben an, dass sich einzelne Lehrkräfte um die Sicherheit, Stabilität und Aktualisierung der IT-Ausstattung kümmern. Brand fordert IT-Fachpersonal für die Wartung der digitalen Infrastruktur an Schulen einzusetzen: „Die Lehrkräfte können nicht auch noch den Job von IT-Fachkräften übernehmen. Lehrkräfte sollen bilden und erziehen – und nicht schrauben und installieren.“
Ebenso wenig sollte die Aneignung der Kenntnisse für den Unterricht mit digitalen Endgeräten die Freizeitaufgabe der Lehrkräfte sein. Nach Auskunft der Schulleitungen bilden sich 63 Prozent der Lehrkräfte privat weiter. Über die Hälfte bildet sich zudem mithilfe des Kollegiums fort. Der VBE fordert, dass alle Lehrkräfte innerhalb ihrer Dienstzeit an von staatlicher Seite angebotenen und qualitativ hochwertigen Fortbildungen teilnehmen können. Für das Lernen im Kollegium sind zudem entsprechende Kooperationszeiten einzuplanen.
EU-Datenschutzgrundverordnung
Vor große Herausforderungen stellt die Schulen die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung. 70 Prozent der Schulleitungen berichten, dass der Arbeitsaufwand hierdurch langfristig gestiegen ist. Weitere zwei Drittel sagen, dass sie bei der Umsetzung weitestgehend auf sich gestellt waren. „Eine weitere von außen aufgestülpte Aufgabe für die Schulen, ohne die hierfür notwendigen Zeitressourcen bereitzustellen“, konstatiert der VBE-Chef.
Ausstattung der Lehrkräfte
Gewaltige Investitionslücken offenbaren sich bei der Bereitstellung von Arbeitsgeräten durch den Dienstherrn: Nicht mal an einem Viertel der Schulen gibt es für alle Lehrkräfte dienstliche Computer, an knapp 30 Prozent der Schulen gibt es überhaupt keine. „Die Versorgung mit dienstlichen PC an den Schulen ist eine mittlere Katastrophe“, fasst der VBE-Landesvorsitzende die Daten zusammen. Und weiter: „Zeigen Sie mir mal das Unternehmen, in dem es erlaubt ist, mit höchst sensiblen Daten auf dem Privatgerät zu hantieren. Und wenn Lernstandsbeurteilungen, Zeugnisse und individuelle Informationen an die Eltern keine hochsensiblen Daten sind, was dann?“
Kaum besser ist die Situation bei dienstlichen E-Mail-Adressen: An einem Drittel der Schulen gibt es überhaupt keine. Der VBE mahnt ausdrücklich, bei der Bereitstellung der Infrastruktur die Ausstattung der Lehrkräfte zu berücksichtigen.
Forderungen
VBE fordert die verantwortlichen Akteure dazu auf:
- Ausreichend zu investieren: An der Mehrheit der Schulen in Baden-Württemberg mangelt es im Jahr 2019 noch immer an Zugang zu schnellem Internet und WLAN. Der großen Mehrheit der Schulen fehlt es zudem an digitalen Endgeräten. Hier muss nachgebessert werden!
- Fortbildungen anzubieten für die Aneignung der Kenntnisse für den Unterricht mit digitalen Endgeräten: Alle Lehrkräfte müssen innerhalb ihrer Dienstzeit an bezahlten und qualitativ hochwertigen Fortbildungen teilnehmen können.
- IT-Fachpersonal für die Wartung der digitalen Infrastruktur an Schulen einzusetzen. Die Lehrkräfte und Schulleitungen können nicht auch noch den Job von IT-Fachkräften übernehmen.
- Bei der Bereitstellung der Infrastruktur auch die Ausstattung der Lehrkräfte mitzudenken. Dienst-PC und dienstliche eMail-Adressen für alle Lehrkräfte sind im Zuge der Digitalisierung und in Zeiten verschärfter Datenschutzbestimmungen ein Mindestanspruch.
- Und für eine Entlastung der Lehrkräfte zu sorgen, die in diesem Feld zusätzliche Aufgaben übernehmen.
Hier kommen Sie zu den Ergebnissen der Studie: