Vollerhebung der Unterrichtssituation – und jetzt?

Ein Spruch der Ministerin ist bei uns allen sicherlich hängen geblieben: „Vom vielen Wiegen allein wird die Sau nicht fetter!“. Das stimmt und wenn man feststellt, dass Handlungsbedarf besteht, was macht man dann damit nach dem Wiegen? Um ansatzweise im Bild zu bleiben: Man stellt sich also auf die Waage und bemerkt, dass man es sich wohl doch etwas zu gut gehen lassen hat. Anschließend ist klar, dass man Maßnahmen ergreift und sich nicht mit dem Status Quo abfindet. Also mehr Bewegung und/oder weniger Nahrungsaufnahme.

In Stuttgart ist dies wohl nicht so, anders ist die wenig emotionale Reaktion in Bezug auf die Vollerhebung zur Unterrichtssituation an den Schulen des Landes aus dem Herbst 2024 kaum zu erklären. Man scheint sich hier mit der Situation abzufinden, schlimmer noch, man scheint sich wohl kaum klar darüber zu sein, was diese Zahlen an den Schulen vor Ort konkret bedeuten.

Wie sehen die Ergebnisse der Vollerhebung aus?

Zunächst einmal sei gesagt, wenn man nur die reine Ausfallquote, also die Zahlen an Unterrichtsstunden, die nicht gehalten oder irgendwie vertreten wurden betrachtet, scheint alles nicht so dramatisch. An den Grundschulen fallen mit 1,3 % am wenigsten Stunden aus, was ja auch klar ist, denn hier gibt es ja einen gesetzlichen Auftrag, ein hohes Maß an Verlässlichkeit zu garantieren. Stichwort: Verlässliche Grundschule. Im Bereich der Sekundarstufe wird der Mangel schon etwas sichtbarer. Die Top-Sechs der Gründe, weshalb Pflichtunterricht nicht durch die ursprünglich eingeplante Lehrkraft abgedeckt wird, sind nicht weiter überraschend:

1. Krankheit – 67,6 %

2. Fortbildung – 11,4 %

3. Außerunterrichtliche Veranstaltungen – 6,5 %

4. Sonstige dienstliche Aufgaben – 4,6 %

5. Mutterschutz/Elternzeit – 4,1 %

6. Prüfungen – 1,2 %

Jeder Praktiker weiß, dass gerade die spontane Erkrankung, also der Anruf morgens in der Schule „Ich kann heute nicht…“ die größte Herausforderung darstellt, denn Unterstützung hierfür ist kaum zu erwarten. Von Amtes wegen erhält man erst eine Krankheitsvertretung, wenn es sich um einen längerfristigen Ausfall handelt. Bis dann eine solche Krankheitsvertretung überhaupt installiert ist, ziehen bei allem Optimismus mindestens mal drei Wochen ins Land. Drei Wochen, in denen es die Kollegien vor Ort richten müssen. Glücklich ist, wer einen Pool kurzfristig verfügbarer Pensionäre vor Ort hat, die als sogenannte Handschlaglehrkräfte verfügbar sind. An sich betrachtet hört sich das noch nicht dramatisch an. Diese relativ niedrige Quote wird gleich durch ein ganzes Maßnahmenbündel erreicht. Über alle Schularten hinweg betrachtet, wurden 11,1 % der Unterrichtsstunden nicht planmäßig durch die dafür vorgesehene Lehrkraft gehalten.

Der eigentliche „Ausfall“ liegt also weit höher

Der eigentliche „Ausfall“ liegt also weit höher als in der Pressemeldung verkündet. Was diese Maßnahmen aus dem Bündel überwiegend eint ist, dass sie auf dem Rücken der Kollegien ausgetragen werden. Fast zwei Drittel (rund 61 %, was absolut 6,8 % entspricht) dieser 11,1 % wurden durchschnittlich in irgendeiner Form aufgefangen:

1. Mehrarbeitsunterricht (MAU) – 25,5 %

2. Gruppen-/Klassenzusammenlegungen – 21,4 %

3. Über KV-Reserve beziehungsweise KV-Lehrkräfte – 18,9 %

Kaum bekannt ist öffentlich die Tatsache, dass Lehrkräfte zur unentgeltlichen Mehrarbeit verpflichtet sind. Wäre der Beruf Lehrkraft nicht ohnehin schon sehr fordernd, wäre das ja vielleicht noch akzeptabel. Doch auch Maßnahme 2, die Gruppen-/Klassenzusammenlegung, also die klassische Mitversehung, trägt zu einer weiteren verschärfenden Belastung oder Arbeitsverdichtung bei. In der Regel führt nämlich gerade diese Maßnahme dazu, dass nicht nur einer Klasse keinen Unterricht hat, sondern in Wahrheit zwei Lerngruppen nicht adäquat unterrichtet werden können. Entweder bekommt die Vertretungslehrkraft den Unterrichtsraum mit „Gastschülern“ vollgestopft oder sie „springt“ permanent zwischen zwei Unterrichtsräumen hin und her. Hier wird also mehr der Arithmetik genüge getan, als dem Qualitätsaspekt Rechnung getragen.

Fakt ist

Fakt ist, dass das Land sich eine niedrige Ausfallquote auf dem Rücken der Lehrerinnen und Lehrer erkauft, die halt da sind. Weniger als ein Drittel wird durch eigens dafür entlohnte/beschäftigte Lehrkräfte aufgefangen. Dieser Zustand ist kaum als akzeptabel zu bezeichnen und muss dringend geändert werden. Die vorhandenen Handschlaglehrkräfte reichen hierzu kaum aus. Was er dringend an den Schulen braucht, ist eine fest in stallierte Krankheitsreserve vor Ort. In Zeiten des Fachkräftemangels und in Anbetracht der Mangelregionen im Land, wo es ohnehin schon schwer genug ist eine 100 % Versorgung zu realisieren, mag dies durchaus paradox klingen, dennoch gilt es, die Schulen mit mindestens 110 % an Lehrkapazität auszustatten. Idealerweise selbstverständlich durch Lehrkräfte, aber wo dies nicht durch originär pädagogisch ausgebildetes Personal geschehen kann, könnte man ja auch andere Wege gehen, gerade wenn es „nur“ um die Beaufsichtigung von Schülerinnen und Schüler geht. Seiten- oder Quereinsteiger könnten in einem KV-Pool erste Erfahrungen sammeln und so sanft in das Berufsfeld einsteigen. Studentischen Kräften könnte ein bezahltes Praktikum ermöglicht werden. Alles also Argumente, um hier mutige Wege zu gehen. Werden diese nicht konkret zur Vertretung benötigt, könnten diese Personen durchaus auch zur gezielten Förderung in Kleingruppen eingesetzt werden.

Fazit

Die Herausforderung durch „spontane“ Ausfälle an den Schulen ist immens. Viel größer als durch alle anderen Situationen, die zu Ausfällen führen können. Eine große Zahl an Kolleginnen und Kollegen trauen sich kaum noch auf Fortbildungen, weil sie wissen, was dies vor Ort auslöst. Diese, wie von der Spitze des ZSL intendiert, immer mehr in der unterrichtsfreien Zeit (an Wochenenden oder in den Ferien) stattfinden zu lassen, ist nicht akzeptabel, da die Erholungszeit in Anbetracht der enormen Belastungen des schulischen Alltags, dringend benötigt bzw. in der Regel für Unterrichtsvor- und nachbereitung genutzt wird. Dieses immer weitere Belasten der Kollegien muss aufhören. Wir weisen darauf hin, dass es weder die Aufgabe der Schulleitung noch die der Lehrkräfte ist, einen systematischen Personalmangel zu kompensieren. Es ist vielmehr die Pflicht des Landes, die Schulen personell so aufzustellen, dass die Erfüllung des Unterrichts sichergestellt ist. Im Rahmen der Fürsorgepflicht und im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz darf es nicht zur Regel werden, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr als ihr individuelles Deputat unterrichten. Zwingend notwendige Abwesenheitsvertretungen müssen für alle betroffenen Lehrkräfte sowie für die Schulleitungen unter Berücksichtigung von Belastungs- und Gerechtigkeitsaspekten leistbar und zumutbar sein. All dies lässt nur eine logische Schussfolgerung zu: Das Land muss endlich eine Krankheitsreserve von 110 % an unseren Schulen einrichten, damit der Schulalltag für alle Beteiligten wieder leistbar wird.

Zusammengefasst fordert der VBE BW aufgrund der Ergebnisse der Erhebung:
  • Mutige Ansätze, um die Schulen mit einer konkret vor Ort vorhandenen Vertretungsreserve („Springer“) auszustatten.
  • Eine Krankheitsreserve von 110 % .
  • Die strengen Kriterien für sogenannte Handschlaglehrkräfte müssen großzügiger gefasst werden.

Ergänzend:

  • Die Bezahlung von Mehrarbeitsunterricht ab der ersten Vertretungsstunde.
  • Eine attraktivere Entlohnung von Mehrarbeitsunterricht.

Klar ist, unsere Schülerinnen und Schüler haben ein Anrecht auf eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige Bildung.

Walter Beyer, Stv. Landesvorsitzender

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender