„Die Bedingungen für die Umsetzung der Inklusion an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland stehen klar im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention“, kritisierte heute Gerhard Brand, Stellvertretender VBE Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender VBE Baden-Württemberg, in Stuttgart. Brand stellte auf der Landespressekonferenz die Repräsentativbefragung im Auftrag des VBE „Inklusion an Schulen aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer“ vor. Es ist bundesweit und für Baden-Württemberg die erste diesbezügliche Lehrerbefragung. „Dem VBE ist wichtig“, so Brand, „die Diskussion über Inklusion auf den harten Boden der Tatsachen zurückzuführen.“ Die Ergebnisse seien ein Alarmsignal an die Politik.
Brand weiter: „98 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer bundesweit sprechen sich für eine Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagoge in inklusiven Lerngruppen aus. Neun von zehn Befragten sind der Ansicht, diese Doppelbesetzung muss es immer und nicht nur zeitweilig geben. Schulrechtlich ist eine solche Doppelbesetzung aber nicht zwingend vorgesehen“, sagte Brand. Mehr als die Hälfte der Befragten gebe an, ihre Schule sei überhaupt nicht barrierefrei. Für Grundschulen würden dies sogar 60 Prozent der Befragten angeben. Das Fortbildungsangebot für Lehrerinnen und Lehrer zur Vorbereitung auf inklusives Unterrichten bewerteten bundesweit 36 Prozent als gar nicht gut. Zugleich gäben aber 75 Prozent der Befragten bundesweit an, dass an ihrer Schule bereits Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet würden. Bundesweit unterrichten 32 Prozent der Befragten selbst in inklusiven Lerngruppen. „Die Rahmenbedingungen entsprechen nicht im Mindesten den Auflagen des Artikels 24 der UN-Behindertenrechtskonvention“, stellte Brand klar. Deutschland als Vertragsstaat sei verpflichtet zu wirksamen individuell angepassten Unterstützungsmaßnahmen, zur Einstellung von Lehrkräften, zur Schulung von Fachkräften auf allen Ebenen des Bildungswesens.
„Von der Politik wird billigend in Kauf genommen, dass Inklusion vor die Wand gefahren wird. Die Schulwirklichkeit ist bestimmt durch fehlendes Fachpersonal an Regelschulen, zu große Lerngruppen, Mangel an passenden Klassenräumen, nicht vorhandene Aufzüge, unzureichende Vorbereitung der Lehrer auf inklusives Unterrichten“, erklärte Brand. „57 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer befürworten die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Handicap, vorausgesetzt die personellen und finanziellen Ressourcen sind gegeben. Gründe dagegen ergeben sich bezeichnenderweise vor allem aus dem Mangel an nötigen Bedingungen vor Ort. 41 Prozent der befragten Lehrer bundesweit halten daher die Beschulung von Kindern mit Behinderung an Förderschulen für sinnvoller.“
Brand verurteilte, „dass die Lehrerinnen und Lehrer vom Dienstherrn einfach ins kalte Wasser geworfen werden“. „Mehr als zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer, die selbst inklusiv unterrichten, berichten laut unserer Umfrage, dass die Klassengröße beibehalten wurde. Vier Prozent gaben an, die inklusive Klasse sei sogar größer geworden. Nur zwei von drei Befragten haben an ihrer Schule die Unterstützung durch einen Sozialpädagogen oder Sonderpädagogen. Mehr als die Hälfte der Befragten hatte nur wenige Wochen Zeit, sich auf inklusives Unterrichten vorzubereiten. Fünf Prozent hatten höchstens eine Woche Vorbereitungszeit. Aber 57 Prozent der Befragten gibt an, über keine sonderpädagogischen Kenntnisse zu verfügen, und 38 Prozent haben keine begleitende Fortbildung.“
Als Konsequenz aus der Lehrerrepräsentativbefragung bekräftigte Brand: „Bund, Länder und Kommunen müssen Inklusion gemeinsam und mit tragfähigen Finanzierungskonzepten anpacken. Es muss Schluss sein mit der Praxis, die für Inklusion notwendigen personellen, sächlichen und räumlichen Ressourcen zu verweigern beziehungsweise unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Bei der Inklusion darf es keine Verlierer geben.“