Angesichts der heute von der Robert Bosch Stiftung veröffentlichten Ergebnisse der Umfrage „Das Deutsche Schulbarometer Spezial – Geflüchtete ukrainische Schüler:innen an deutschen Schulen“, äußert sich Gerhard Brand, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), wie folgt:
„Dass die Beschulung geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher für die Schulen bislang noch nicht die vordringliche Herausforderung darstellt, liegt auch in der Tatsache begründet, dass zum Zeitpunkt der Befragung mindestens 40.000 geflüchtete Kinder weniger in den Schulen registriert waren, als dies inzwischen der Fall ist. Die Rückmeldungen, die wir aus unseren Landesverbänden erhalten, zeigen, dass sich die Situation in den Schulen durch die anhaltende Zuwanderung von Woche zu Woche deutlich verschärft. Zudem gestaltet sich die Lage in den Ländern sehr unterschiedlich. So zeichnen sich beispielsweise in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen besondere Herausforderungen ab, da hier derzeit bereits überproportional viele Schülerinnen und Schüler aufgenommen wurden.
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass die Schulen – je nach ihren Möglichkeiten und der Anzahl der zu beschulenden Schülerinnen und Schüler – einen Unterricht wahlweise in Willkommens- oder Regelklassen vornehmen. Auch hybride Modelle gehören derzeit zum Schulalltag. Dass die Zahl der geflüchteten Grundschulkinder in Regelklassen mit 60 Prozent über dem Durchschnitt liegt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Lehrkräftemangel hier besonders dramatisch ist und die Raumkapazitäten weitgehend ausgeschöpft sind. Die sofortige Integration in Regelklassen ist vor dem Hintergrund, dass an weniger als einer von zehn Schulen, die geflüchtete Kinder und Jugendliche beschulen, Übersetzerinnen und Übersetzer oder ukrainische Lehrkräfte zum Einsatz kommen, eine besondere Herausforderung für die Lehrkräfte.“
Zur Lage an den Schulen nach zwei Jahren Coronapandemie, in denen die Politik die Situation im Schulalltag weitgehend unbeachtet ließ, führt Brand fort:
„Wie sehr die Schulen unabhängig von der zusätzlichen Beschulung ukrainischer Kinder und Jugendlicher nach wie vor durch die Auswirkungen der Pandemie belastet sind, wird dadurch belegt, dass Schulleitungen und Lehrkräfte die Corona-Maßnahmen immer noch als größte Herausforderung der Schulen ansehen. Hier zeigt sich erneut der Kontrast zwischen der Realität in den Schulen und der Wahrnehmung der Situation seitens der Politik. Aufgrund der Tatsache, dass die Befragten als zweitgrößte Herausforderung den Lehrkräftemangel angeben, ist es dringend erforderlich, dass die Politik der Gesellschaft ehrlich und transparent vermittelt, was Schulen angesichts der enormen Beeinträchtigungen durch Lehrkräftemangel, Coronapandemie und die aktuelle Flüchtlingsbewegung realistisch leisten können und welche Einschränkungen möglicherweise zu erwarten sind. Es kann und darf nicht allein Aufgabe von Schulleitungen und Lehrkräften sein, derartige Zusammenhänge vermitteln und hierdurch entstehende Konflikte bewältigen zu müssen.“
Zum praktisch nicht vorhandenen Angebot einer muttersprachlichen Beschulung ergänzt Brand:
„Die Diskrepanz zwischen politischem Wunschdenken und der realen Situation an den Schulen wird nochmals dadurch verstärkt, dass anscheinend nicht gewährleistet ist, dass ukrainische Schülerinnen und Schüler in ihrer Muttersprache unterrichtet und begleitet werden können. Besonders für diejenigen, die kurz vor ihren Abschlussprüfungen stehen, stellt dies eine besondere Hürde auf ihrem Bildungsweg dar. Ich bekräftige die Forderung des VBE, individuell auf die Bedürfnisse ukrainischer Kinder und Jugendlichen zu schauen und die Schulen dabei zu unterstützen, dass sie passende Angebote unterbreiten können. Dazu gehört auch, schnellstmöglich Wege zu eröffnen, ukrainische Lehrkräfte sowie Übersetzerinnen und Übersetzer für die Schulen zu gewinnen. Darüber hinaus benötigen Schulen, die ukrainische Kinder und Jugendliche beschulen, umgehend Unterstützung durch multiprofessionelle Teams.“