„Wenn jede zweite Schulleitung von ihrem Job abrät und rund 60 Prozent der Schulen im Land mit Lehrkräftemangel zu kämpfen haben, sind das keine Alarmzeichen mehr. Nein, das Haus brennt lichterloh! Die Politik muss sich dieser Realität stellen. Wenn sie größeren Schaden für die Qualität unseres Bildungssystems abwenden will, muss sie was ändern!“, appelliert der VBE-Landesvorsitzende Gerhard Brand eindringlich an die Landesregierung.
Im Auftrag des VBE hat forsa eine repräsentative Befragung unter Schulleitungen allgemeinbildender Schulen durchgeführt. Vom 17. September bis 28. Oktober 2021 haben daran bundesweit 1.300 Schulleitungen teilgenommen, davon 250 aus Baden-Württemberg. Ein Teil der Fragen wurde bereits in vorherigen Erhebungen (2018, 2019, 2020) gestellt, so dass entsprechende Zeitvergleiche möglich sind. Alle nachfolgenden Werte beziehen sich auf Baden-Württemberg.
Berufszufriedenheit stürzt ab
Ein zentrales Bewertungskriterium für Arbeit ist, ob man sie zur eigenen Zufriedenheit erfüllen kann. Die Zahl der Schulleitungen, die dies nur gelegentlich, selten oder nie schafft, hat sich innerhalb von nur drei Jahren praktisch verdreifacht: Von 16 Prozent im Jahr 2018 auf jetzt 46 Prozent. Und das hat ganz konkrete Auswirkungen: Noch 2019 gaben nur 5 Prozent der Schulleitungen an, ihren Beruf nicht gerne auszuüben. Dieser Wert hat sich dieses Jahr auf 31 Prozent versechsfacht! 2018 sagte außerdem nur jede vierte Schulleitung, ihren Job nicht weiterempfehlen zu wollen. 2019 sagte dies dann bereits jede dritte Schulleitung. Dieses Jahr nun rät jede zweite Schulleitung von dem Beruf ab. Fragt man, von wem sich die Schulleitungen unterstützt fühlen, schneidet die zuständige Politik katastrophal ab. Von der Kultusministerin fühlten sich 2019 bereits nur 13 Prozent unterstützt. Heute fühlt sich überhaupt keine Schulleitung mehr (0 Prozent) unterstützt.
Gerhard Brand: „Die Schulleitungen sind als Motoren und Schnittstellen unseres Bildungssystems von zentraler Bedeutung für dessen Qualität. Früher hatten wir eine Bestenauslese, wenn es darum ging, diese Schlüsselpositionen zu besetzen. Heute ist die Bewerbungslage dermaßen desaströs, dass an nicht wenigen Schulen die Leitung über Monate hinweg nicht besetzt werden kann. Die Bildungsqualität leidet hierunter massiv! Dieser Trend wird sich nochmal deutlich verschärfen, wenn Schulleitungen weiter systematisch überlastet und in die innere Kündigung getrieben werden.“
Lehrkräftemangel verschärft sich weiter
2018 gab etwa ein Drittel der Schulleitungen an, dass sie an ihrer Schule mit Lehrkräftemangel zu kämpfen hat. 2020 sagte dies dann die Hälfte der Befragten. Dieses Jahr sind es nun fast 60 Prozent der Schulen, die mit Lehrkräftemangel zu kämpfen haben.
Dazu Gerhard Brand: „Die Politik scheint Probleme mit der Mathematik zu haben. Ob Ganztag, Inklusion, Integration, Krisenbewältigung oder Digitalisierung – die immer komplexeren Herausforderungen können unsere Schulen nur mit ausreichend und gut ausbildeten Lehrkräften leisten. Die Realität verläuft jedoch in die genau entgegengesetzte Richtung: Der Lehrkräftemangel verschärft sich jedes Jahr weiter und es müssen immer mehr Seiteneinsteiger und Nichterfüller unterrichten, also Lehrkräfte, die über keine vorhergehende Lehramtsqualifikation verfügen.“ Die Quote der Schulen, die Nichterfüller beschäftigen, hat sich seit 2018 von 18 Prozent auf nun 37 Prozent verdoppelt. Drei Viertel aller Nichterfüller haben zudem weder eine ausreichende pädagogische Vorqualifikation noch eine berufsbegleitende pädagogische Qualifizierung erhalten. „Unter diesen Umständen ist Qualität im Bildungssystem nicht mehr zu garantieren“, konstatiert Brand.
Lichtblick: Digitalisierung schreitet voran
Die Verfügbarkeit von Klassensätzen an Tablets oder Smartphones für einige oder alle Klassen springt von 33 Prozent im Jahr 2018 auf jetzt 79 Prozent. Der Zugang zu Breitbandinternet klettert außerdem von 40 Prozent (2018) auf 56 Prozent. Ebenso erfreulich: Der Anteil der Schulen, an denen bereits alle oder fast alle Lehrkräfte eine Fortbildung im Digitalbereich besucht haben, steigt von 17 auf 31 Prozent. „Innerhalb kürzester Zeit hat die Politik es geschafft, die Schulen digital auszustatten. Hier zeigt sich, zu was eine entschlossene, mutige Politik in der Lage ist!“, kommentiert Brand den Schub in der digitalen Ausstattung.
Forderungen
Damit der Beruf der Schulleitung wieder leistbar und die Qualität des Schulsystems nicht aufs Spiel gesetzt wird, fordert der VBE:
- Eine Erhöhung der Leitungszeit an allen Schulen.
- Mehr Anrechnungsstunden zur Erfüllung besonderer Aufgaben.
- Eine bessere personelle Ausstattung mit Lehrkräften und multiprofessionellen Teams.
- Eine gesicherte Stellvertreter-Regelung.
- Vollständige Umsetzung der zweiten Stufe des Konzepts zur Stärkung und Entlastung der Schulleitungen.
Weiterführende Infos
- forsa-Charts, forsa-Bericht, Redetext Gerhard Brand
- Die Bundesergebnisse der Umfrage finden Sie auf www.vbe.de
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