Neulich war es mal wieder so weit. Kaum zu glauben, aber mein Telefon klingelt und mein Lieblings GMS-Rektor aus der Nachbarschaft ruft zum Plaudern über dies und das an. Meist beginnt das Gespräch damit, dass er sich mit „Schule der Zukunft – und wie läuft es so im Auslaufmodell?“ meldet. Das lasse ich natürlich nicht auf mir sitzen und kontere locker mit: „Wieso hat deine Schule keine Zukunft? Du hast doch gerade Schule ohne Zukunft gesagt…“ Wir lachen beide laut.
So friedlich und humorvoll ging es nicht immer zwischen den Schularten zu. Erinnern Sie sich auch noch, als unter Grün-Rot ziemlich viel Porzellan zerschlagen wurde, was dann in einem unsäglichen Konkurrenzkampf der Schularten mündete. Da gab es Lieblingsschularten – nicht nur von der Regierung – und solche, die „abgeschafft gehören“, weil Sie angeblich Kinder stigmatisieren und mit lauter Lehrkräften „von vorgestern“ gespickt sind, die Kinder viel zu früh einem unsäglichen Leistungsdruck und der „Selektion“ aussetzen. Also ich erinnere mich noch ziemlich gut daran und auch daran, dass es da mal einen Minister gab, der von allem dem heute nichts mehr wissen will. Auch nicht davon, dass während dieser Legislatur unter dem Sparzwang Ausbildungskapazitäten reduziert wurden und dann auch wegen des demographischen Wandels tausende von Lehrerstellen wegfallen sollten.
Strukturdebatte nervt nur noch
Mich interessiert diese ganze Strukturdebatte überhaupt nicht mehr. Sie nervt mich nur noch. Warum? Ganz einfach. Lassen Sie uns mal hypothetisieren.
Hypothese 1 – Gute Schulen gibt es in BW jede Menge, ganz unabhängig davon, was über der Türe angeschrieben steht.
Hypothese 2 – Eine gute Schule wird von guten Lehrkräften getragen.
Hypothese 3 – Damit Lehrkräfte auch richtig gute Lehrkräfte sein können, brauchen sie vor allem ZEIT, um ihren Job zu machen.
D’accord? Die meisten unter Ihnen dürften wohl zustimmen. Und für diese Erkenntnis braucht es nun wirklich kein ZSL oder IBBW. Dazu braucht man nur ein wenig Sachkenntnis. Warum sage ich das? Weil wir genau darüber immer wieder, wie ein Mantra mit dem KM reden. Übrigens ganz unabhängig davon, wer gerade im 9. Stock der Thouretstraße sitzt. Wirklich angegangen ist noch niemand das Thema rund um Hypothese 2. Naja, man muss kein Eisenmann-Fan sein, aber eines muss man der letzten Kultusministerin lassen, sie hat es benannt und irgendwie hat es auch Eingang in den Erneuerungsvertrag gefunden. Allerdings nicht ohne Totalausstiegsklausel auch bekannt als „Totschlagargument Nr. 1“ (sie erinnern sich bestimmt) – dem Finanzierungsvorbehalt, der einem Damoklesschwert gleich über allem schwebt, was dort als Absicht bekundet wird.
Was nun aber wirklich neu in dieser Legislatur ist und was so richtig nervt, ist die geschickte Kombination von Totschlagargument Nr. 1 und Nr. 2 (genau, das mit dem Personalmangel) in Kombination mit der rhetorischen rechten Geraden: „Wir können uns auch keine Lehrkräfte backen oder haben Sie etwa Vorschläge wo die herkommen sollten?“. Klar haben wir die und klar haben wir die schon x-Mal kommuniziert, aber letztendlich gilt das gute alte Motto meiner Mutter: Wenn das Geld nicht langt, dann muss man halt schauen, was man damit kaufen will und ob man es dann wirklich noch will.
Alles wollen ohne Geld – geht nicht
Was aber nicht geht, ist dass man alles will und dafür kein Geld ausgeben möchte. Bei uns in den Schulen scheint aber genau dies seit langem das Motto zu sein. Die Aufgaben werden immer mehr, aber mehr Zeit dafür bekommt man nicht. Da Zeit aber kein mehrbares Gut ist, ist es doch völlig klar, dass man dies an anderer Stelle kompensieren muss. Und das ist nun leider viel zu oft genau am Kerngeschäft, dem Unterricht und dessen sorgfältige Vor- und Nachbereitung. Da wundert es niemanden mehr, wenn Bildungsforscher behaupten, wir hätten ein Qualitätsproblem und unsere Kids in irgendeinem Ranking mal wieder bestenfalls mittelmäßig abschneiden. Was ich dann aber sicher nicht brauche, sind irgendwelche Beobachtungsbögen zur Unterrichtsbeobachtung, Datenerhebungen, Statusgespräche oder sonst einen Klimbim, der nix als weitere Zeit frisst.
Wann bekommen wir denn mal endlich die Zeit, unseren Job zu machen, also wann wird endlich das Deputat dem Aufgabenplus angepasst? Auch für die vielen „Malebenjobs“, die wir so machen, wie z. B. Coaching (übrigens nicht nur der Kinder) oder seitenlange Berichte zu verfassen. Eine andere Möglichkeit bestünde in der Reduzierung der Klassengröße. Und wo sollen die Lehrkräfte dazu herkommen? Klar, natürlich aus den Lehrkräften! Paradox? Nein. Wie viele Kolleginnen und Kollegen unterrichten denn in Teilzeit und wie viele von denen unterrichten bewusst in Teilzeit, weil sie sonst den Job einfach nicht packen. Wenn Politik endlich einmal die Rahmenbedingungen für unseren Beruf so schaffen würde, dass vor allem junge Kolleginnen und Kollegen, aber auch ältere endlich wieder die Zeit hätten, einfach nur ihren Job zu machen und eben nicht den Eindruck, sie manövrieren sich durch ein volles Deputat ins Burnout. Dann wären auf einen Schlag sämtliche Personalprobleme gelöst. Fehlt halt nur noch das Geld. Aber auch das wäre da, wenn man es nicht permanent in irgendwelche Prestige- oder Ideologieprojekte der Bildungslandschaft investieren würde, statt es unmittelbar denen zugute kommen zu lassen, für die es gedacht ist – den Schülerinnen und Schülern und der Arbeit der Lehrkräfte.
q.e.d.
Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender