Lederle spricht Klartext: Woher nehmen und nicht stehlen?

Klartext

Wie jeden Morgen öffne ich meine Dienstmail im Büro. Zugegeben, ich war in letzter Zeit viel dienstlich unterwegs, es hat sich also einiges angesammelt. Immer wenn ich eine Mail vom SCS (Service Center Schulverwaltung) sehe, entwickle ich inzwischen so eine Art verbales Tourette. Meine beiden Sekretärinnen kennen das schon und wundern sich nur noch wenig, wenn der Chef mal wieder verbal eskaliert und Versatzstücke in den Mund nimmt wie „Kruscht“, „schon wieder 20 Seiten“, „wer soll das eigentlich alles und wann lesen“ oder ein schlichtes „na Mahlzeit“.

So langsam fließen also die Informationen aus Stuttgart. Klasse. Nichts ist so beständig wie der Wandel! Das wusste auch Heraklit schon. Es scheint, als hätte man sich diesen Ausspruch in Stuggi über so manchen Schreibtisch gehängt und zum Lebensmotto erkoren.

Nicht dass wir uns falsch verstehen! So manche Veränderung haben wir als Verband mit angestoßen. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass unsere Arbeit in vielen Bereichen wirklich Früchte getragen hat und unnötig war einiges wirklich nicht. Ich sage nur Orientierungsstufe. Also von daher für so manches, das aus Stuggi kommt uneingeschränkt den Daumen hoch. Allerdings hat es mich dann schon überrascht, was da sonst noch so alles angegangen wurde und vor allem mit welchem zeitlichen Vorlauf. Kennen Sie den Werbespot der Sparkasse noch? „Mein Haus, mein Boot, mein Auto!“ Irgendwie erinnert das schon daran, nur dass es hier „Und das, dann das und das auch noch“ heißen müsste. Respekt dafür, wie viele Projekte man willens ist, anzugehen. Ich mag mir kaum vorstellen, wie unendlich viel Arbeit in den einzelnen Referaten des Kultusministeriums darin steckt. Dennoch frage ich mich, warum das alles gegen Ende der Legislatur – immerhin wählen wir ja 2026 wieder – angegangen wird. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich drei Jahre lang eingegroovt wurde und Bäm!, jetzt wird alles auf einmal ausgepackt. Sportlich. Vor allem sportlich, wenn ich daran denke, dass ja keine fertigen Konzepte, sondern nur Bausteine geliefert wurden, die dann auch mit Leben gefüllt werden müssen.

Beispiele gefällig?

Beispiele gefällig? Beginnen wir mal mit ein paar leichteren Übungen. Das wäre mal die Abschaffung von BNT bei gleichzeitiger Implementierung von Medienbildung und die Kiste mit dem früheren Wahlpflichtbereich. Bevor ich mich inhaltlich damit befasse, brauche ich erst einmal eine Form dafür, sprich eine neue Kontingentstundentafel. Schon alleine die Diskussionen beim Bildungsplan 2016 waren sehr aufwendig, denn es will ja kein Fach zu kurz kommen und die Auseinandersetzungen, was jetzt wo hinwandert und in welcher Klassenstufe unterrichtet wird, waren sehr leidenschaftlich und zeitaufwendig. Dann müssen selbstverständlich noch neue Fachcurricula her. Das betrifft dann nicht nur die angesprochenen Fachbereiche, es kommt ja auch noch mehr Mathe und Deutsch dazu. Oh, und bevor ich es vergesse: durch die Gremien muss die neue Kontingentstundentafel ja auch noch. Dann stellt sich zudem noch die Frage bei Medienbildung/Informatik, wo die Lehrkräfte dafür herkommen sollen. Wir zum Beispiel haben gerade mal einen Kollegen mit entsprechendem Studium. Das heißt also Fortbildungen besuchen oder gar eine Qualifikation via Kontaktstudium. Zum Glück gibt es hier auch schon entsprechende Angebote.

Respekt dafür, wie viele Projekte man willens ist, anzugehen.

Jetzt wird‘s schon etwas komplexer. Weg mit der Projektprüfung und her mit „Zeig was du kannst!“. Der Titel erzeugt bei mir Schulterzucken. Etwas Griffigeres wäre doch auch schön. Wie wäre es mit „The Projäkt“? Sei’s drum. Zumindest hat es bereits die erste Broschüre als Handreichung mit Tipps gegeben. Dennoch, ob das alles vor Ort so passt, ist eine andere Frage. Lesen, diskutieren und adaptieren muss man es auf jeden Fall. Und das kostet schlicht Zeit. Die Demokratiebildung sollen wir auch noch verstärkt angehen. Absolut notwendig, vor allem wenn man sich das Ergebnis der Bundestagswahlen anschaut oder das, was in den USA so abgeht. Also volle Unterstützung dafür, nur auch dazu braucht es ein tragfähiges Konzept, das erst einmal entwickelt werden muss. Bevor ich es vergesse: Berufsorientierung und BOaktiv. Auch neu, muss ebenfalls implementiert werden. Dazu braucht es Fortbildungen und Konzepte. Dann hätten wir da noch die Kürzung der Poolstunden. Bei uns um mehr als die Hälfte, denn wir sind ja Verbund. Da heißt es jetzt unser bisheriges Differenzierungskonzept nicht nur einzukürzen, sondern vor allem neu aufzugleisen. Wenn ich daran denke, wie viel Zeit uns das gekostet hat, ein gutes und schlüssiges Konzept zu entwickeln, wird mir schon etwas übel. Dann hätten wir da noch das Mentoring, das kein Caoching sein soll, aber irgendwie schon. Neuland, mal wieder. Auch hier gilt es Konzepte zu entwickeln, Beobachtungsbögen, Gesprächsformate, Elterninfos etc.

Richtig viel Arbeit steckt dann in den Verbünden.

Richtig viel Arbeit steckt dann in den Verbünden. Damit meine ich nicht nur die kooperativen Verbünde, sondern vor allem auch die neu entstehenden Verbünde aus Real- und Werkrealschulen. Hier heißt es, Schulen zusammenführen und tragfähige Konzepte zu entwickeln. Im Fall von Verbünden gar Kollegien zusammenzuführen. Das ist wirklich eine Großaufgabe, die auch nicht mit einem Schuljahr erledigt ist. Ich weiß da ganz gewiss, von was ich rede. Wir hatten das vor acht Jahren zu leisten. Dann sollen wir uns auch noch auf die Suche nach Kooperationen mit beruflichen Schulen machen oder im Falle einer GMS eine Oberstufe in Kooperation mit einem Gymnasium anbieten. Die dürfen sich übrigens auch noch an neuen Profilfächern austoben. Das alles selbstverständlich neben dem Unterricht und Alltagsgeschäft her. „Woher nehmen und nicht stehlen?!“ fährt es aus mir heraus und aus meinem Vorzimmer kommt ein „Wie bitte?“. „Na die Zeit, die wir hier für diese Prozesse brauchen“, meine ich zu meinen Sekretärinnen. Beide schauen sich an und erwidern mit einem Lächeln: „Am Sonntag nach der Kirche oder haben Sie da schon was vor?“.

Dirk Lederle

Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, Stellvertretender VBE Landesvorsitzender.