VBE-Stichwort: Warum Bildung so ist, wie sie ist…

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Man könnte meinen, die Deutsche Bahn und die Bildung hätten etwas gemeinsam, und oberflächlich betrachtet stimmt das ja auch: beide sind seit Jahrzehnten unterfinanziert. Vielleicht gehöre ich zu den Bahnromantikern, wenn ich feststelle, dass alles noch besser war, als die Deutsche Bahn noch „Deutsche Bundesbahn“ hieß und der Staat sich noch Eigentümer nennen konnte. Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, dass in meinem Schüleralter größere Mängel wie heute an der Tagesordnung waren. Schließlich warb die Deutsche Bundesbahn in ihren letzten Zügen (Herbst 1966) immer noch mit dem Spruch: „Alle reden vom Wetter, wir nicht!“ Ab 1994 musste die Bahn dann doch vom Wetter reden, denn mit der Privatisierung begann das Unvermeidbare: Streben nach Gewinn, Streben nach dem Börsengang das bedeutete letztlich  auch, dass vieles, das notwendigerweise in die Infrastruktur hätte gesteckt werden sollen, einfach nicht getätigt wurde. Die Ausdünnung der Pflege des Bahnnetzes und des Rollmaterials rächte sich erst Jahre/Jahrzehnte später: „Wegen einer Signalstörung haben wir eine Verspätung von …“, oder  „Leider muss der Zug aus Richtung Sowieso heute ausfallen“. Aus einschlägigen Statistiken wissen wir, dass im deutschen Fernverkehr eine Pünktlichkeitsquote von um die 80 Prozent herrscht, wobei Züge, die ganz ausfallen, gar nicht mitgezählt werden. Wieder einmal dient die Schweiz als Vorbild. Sie hat laut Statistik die pünktlichsten Züge der Welt. 

Was wir von der Deutschen Bahn lernen könnten oder: Niemand ist so unnütz, als dass er nicht noch als schlechtes Beispiel dienen kann…

Und in der Bildung? Wie hinlänglich bekannt, lagen die Bildungsinvestitionen bis 2017 sowohl in Baden-Württemberg als auch in Deutschland unterhalb des OECD-Schnittes. OECD ist die engl. Abkürzung für die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit. Darin arbeiten reiche Staaten (z.B. Schweiz, Luxemburg, Vereinigte Staaten) und arme (z.B. Polen, Slowakei, Estland) zusammen. Wenn es den Deutschen nicht mehr wert ist, als unter diesen Staaten die Bildungspolitik auf dem Durchschnitt zu halten, dann müssen wir uns in der Bildungspolitik über Parallelen zum oben beschriebenen Zugverkehr nicht wundern. Immerhin hat Deutschland 2018 einen Sprung leicht über den Durchschnitt geschafft. Vor allem dazu beigetragen hat auch die Förderung der Kindergärten, in die die Grünen stark investiert haben. Da der Bildungsbegriff für die Elementarstufe aber letztlich sehr großzügig definiert ist, kann nicht im letzten festgestellt werden, wieviel von den Geldern tatsächlich in den originären Bereich Bildung geflossen ist. Generell wurden auch die Hochschulen großzügig gefördert, aber die Schulen profitierten von den gestiegenen Bildungsausgaben kaum. 

Und das geht schon so seit Jahren, nein, seit Jahrzehnten so. Denn im Gegensatz zur Bahn gab es noch zu keinem Zeitpunkt im letzten halben Jahrhundert eine nennenswerte Epoche, in der in  das öffentliche Schulwesen mehr nachhaltiges Geld gesteckt wurde als unabdingbar nötig. Wie das marode Netz der Bahn darbte unser Schulwesen dahin. Man sah nicht die Notwendigkeit, in die personelle oder in die sächliche Ausstattung der Schulen zu investieren. So manches Schulgebäude blieb innerlich so alt wie es von außen aussah. Und auch die Schnellbauten aus Beton der letzten Jahrzehnte vor dem Millenium  zeugten letztlich nur von Lieblosigkeit. Um Atmosphäre für einen Lebensraum für Schüler zu bekommen, hätte es einiges mehr bedurft. Und so stehen wir heute da: Gebäude, die in der Mehrheit nicht den Anforderungen der digitalen Zukunft gewachsen sind; Lehrkräfte, die eben –auf geringer Anzahl gehalten- ihr Bestes geben, letztlich aber in Sisyphusarbeit verharren. 

Und alles, was „rumgetüncht“ wird, geschieht ohne jegliches pädagogische Konzept. Lernen geschieht vom Wiederholen, vom kontinuierlichen Arbeiten und letztlich haben die Gründungsväter des Beamtentums in der Weimarer Republik nicht umsonst die „volle Hingabe“ in das Landesbeamtengesetz geschrieben. Kann jemand, der für 2 Monate angestellt ist und in dieser Zeit ein oder zwei Viertels-Tage pro Woche in der Schule steht (man merke: ich schreibe nicht: „Unterricht hält!“) seine Aufgabe überhaupt so wahrnehmen, dass sie letztlich dem Schüler / der Gesellschaft / unserer Zukunft nützt? (Dieser Fall ist nicht konstruiert). Es gäbe viel zu tun, aber packt es jemand an? Ich fürchte: „Man“ will es gar nicht merken.

Unerschöpfliches Thema: Die digitale Welt

Was wird auf Lehrern herumgehackt, weil viele von ihnen die digitale Welt nicht können. Der VBE hat über forsa feststellen lassen, dass nur jede fünfte Lehrkraft einen Dienst-Computer zur Verfügung hat. Und grundsätzlich möchte ich ein weiteres Mal anmerken, dass gut ausgebildete Digital-Lehrkräfte wenig nützen, wenn die Breitband-Leitung auf dem Dorf fehlt, wenn die erforderlichen Unterrichtsstunden dafür nicht vorhanden sind, wenn die Räumlichkeiten in der Schule nicht auf Digital-Betrieb ausgerichtet sind. Kurz: die Rahmenbedingungen sind oftmals nicht dazu angetan, „Lust auf mehr“ zu machen. Und betrachten wir es einmal ganz banal: Was passiert, wenn in den Grundschulen der Digital-Unterricht ausfällt? Naja, vielleicht übt man dann die Ein-mal-Eins-Reihen verstärkt von Hand (mit dem Kopf), oder man versucht, wieder mal einen Text in Schönschrift abzuschreiben oder ein Gedicht zu lernen. Diese „eigentlichen Notwendigkeiten“  erfahren dann wieder eine in meinen Augen berechtigte Aufwertung. Und: was kann man sinnlos Geld verlochen, wenn die oben genannten Bereiche nicht zusammenwirken, also im Zweifel ein einziger Aspekt fehlt. Ein Beispiel: Technisch ist alles vorhanden -kostete ein Schweinegeld-, aber es gibt keine Lehrkraft für den grundlegenden Unterricht? Nutzlose Investitionen würde jeder Kaufmann sagen. Wenn man dann noch bedenkt, dass Lehrkräfte nicht zwangsläufig IT-Spezialisten sein müssen (und auch in der Mehrzahl -Gott sei Dank- nicht sind), dann genügt ein Blick auf die Spezialisten im Kultusministerium, um zu erkennen, wie man Millionen in den Sand setzen kann, wenn der Möchtegern nur der Vater des Gedankens ist, aber die Umsetzung an allen Ecken und Enden (vor allem am finanziellen Einsatz) mangelhaft ist. 

September 2018: Die digitalen Bildungsplattform „Ella“ scheitert: 28,7 Millionen waren eingeplant. Beim Erkennen (und Zugeben) der Sackgasse  sind schon fast 9 Millionen EUR ausgegeben worden. Ergebnis: 9 Millionen für nichts.

Mai 2019: Das IT-Schulverwaltungsprogramm ASV-BW soll den Schulen Verwaltungsarbeit abnehmen. Zu Projektbeginn sind 4 Millionen EUR für das Programm veranschlagt gewesen. Auftraggeber waren Bayern und Baden-Württemberg. Start sollte das Schuljahr 2008/09 sein. Nun haben wir Mai 2019, alleine Baden-Württemberg hat 47 Millionen EUR ausgegeben, und der Rechnungshof stellt fest: „Nach 13 Jahren Projektlaufzeit sind die mit der Entwicklung von ASV-BW verfolgten, zu Projektbeginn formulierten Ziele nicht erreicht. Die Zielvorgaben des Projekts ASV-BW zu Kosten, Zeiten und Leistungen wurden deutlich verfehlt.“ Die Kultusministerin wagt ein vorsichtig optimistisches Statement: „Frühere Schwächen im Projektmanagement wurden im Kultusministerium jedoch zwischenzeitlich erkannt und durch eine stringente Projektsteuerung und ein systematisches Qualitätsmanagement angegangen bzw. behoben. Damit sind wir gut aufgestellt, um das formulierte Ziel zu erreichen, nämlich ASV-BW zeitnah in die Fläche zu bringen und die elektronische Schulstatistik umzusetzen.“ Lässt hier Berlin mit dem BER  grüßen?

Lasst uns festhalten: Das Ministerium mit „enormsten“ Geldeinsatz und angeblichen Spezialisten bekommt zwei Großprojekte nicht gebacken. Ist es dann gerecht und vertretbar, ist es dann also angebracht, die Lehrkräfte zu schelten, die neben größtem persönlichen Einsatz im Bereich Bildung und Erziehung sowie bei einer deutlich zu hohen Unterrichtsverpflichtung bei einer heterogen gewollten Schülerschaft auch noch zusätzlich im IT-Bereich ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung große Brötchen backen? Es wird hier Zeit, dass manche Kritikusse wieder auf den Boden der Realität zurückkehren. Wir tun, was möglich ist, und: „Mehr geht nicht!“

Ich kann es mir nicht verkneifen, hier noch eine Millionenzahl hinzuzufügen: Immer wieder drängt der VBE auf A 13 auch für Schulleitungen kleiner Schulen. Vor ca. 2 Jahren  hat die Kultusministerin dieses Ansinnen mit dem Hinweis abgelehnt, dass dies das Land knapp über 2 Millionen koste. Wie viele Schulleitungen hätte man mit den für IT-Missmanagement verschleuderten Millionen wertschätzen können?

Lehrerbedarfsplan

Computer sind doof. Sie können Unterricht erleichtern, aber mehr, als Menschen ihnen durch Programmierung mitgegeben haben, können sie halt (noch) nicht. Deshalb braucht es weiterhin Lehrkräfte aus Fleisch und Blut (und hoffentlich mit Seele !), die die Notwendigkeiten des heutigen Lernens in den Unterricht und auf die Schüler übertragen.  

Der VBE hat seit Jahren immer und immer wieder einen Bedarfsplan gefordert, an dem man die Zahl der benötigten Lehrkräfte ablesen kann. Zwangsläufig würde “man“ bei Erstellung eines solchen Plans in Folge auch davon ausgehen, dass bei festgestelltem Bedarf diese Lehrkräfte dann auch eingestellt würden. Nur ganz nebenbei sei erwähnt, dass der VBE sich über den Beamtenbund im Gegensatz zu einer anderen großen Lehrervertretung aktiv dafür stark macht, dass Lehrkräfte im Beamtenverhältnis eingestellt werden.

Was aber ist Realität in der Politik? Endlich wurden auch ministeriellerseits Zahlen in den Raum gestellt („Modellrechnung“):

https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/190220_Anlage_Modellrechnung_Lehrerbedarf-2020-2030.pdf.

Interessant ist, wie die Politik diese „eigenen“ Zahlen interpretiert. Ich schlage vor, jede/r bildet sich selbst eine Meinung, wenn wir der Frau Kultusminister auf der ebengleichen Seite „zuhören“: „Vor ein paar Jahren dachte man noch, man könne 11.600 Lehrerstellen streichen. Heute wissen wir, dass diese Vorstellung völlig an der Realität vorbeiging. „Die Schülerzahlen steigen, weshalb wir Stellen neu schaffen müssen, um den Bedarf zu decken“, so Eisenmann. Laut der aktuellen Vorausrechnung des Statistischen Landesamts vom Sommer 2018 werden die Schülerzahlen im Zeitraum 2020 bis 2030 kontinuierlich zunehmen. „Natürlich ist unsere Berechnung nicht in Stein gemeißelt, darauf weise ich ausdrücklich hin. Wie jede Prognose enthält sie Unschärfen, sie hängt auch ab von entsprechenden politischen Entscheidungen. Wir werden daher unser Tableau jährlich auf Basis der neuesten Erkenntnisse anpassen“, sagt Susanne Eisenmann. Die Kultusministerin spricht von 10.600 Stellen. Aus der ganzen Stellungnahme spricht eine Scheu, die Realität anzuerkennen („Schülerzahlen steigen“). Und was bitte sind 10 000 Stellen? 6 000 alleine wären schon notwendig um eine Lehrer-Reserve aufzubauen, die den Namen verdient (Das entspräche  einer Krankheitsvertretung von 6 Prozent.) „Man“ redet von Ethik-Unterricht und weiß nicht, welche Lehrkräfte den erteilen sollen. Man redet von Qualitätssicherung, von Ganztagsschule, von Unterstützungsmaßnahmen. Alles Dinge, die den derzeitigen Lehrerbedarf weiter in die Höhe treiben. Ist das nicht die Mentalität eines Kleinkindes, das „Haben, haben, haben“ schreit, und ein bestimmtes Ding unbedingt besitzen möchte. Man sollte doch bei der Politik davon ausgehen können, dass Goethe Recht hat, wenn er Mephisto sagen lässt. „Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen“. (Faust 1,  Hexenküche). Frau Minister, wenn ich keine Lehrkräfte habe, muss ich halt an dem zu erarbeitenden Programm Abstriche machen und nicht immer nur obendrauf satteln. 

Mein Herz könnte noch seitenweise weiterschreiben, aber der mir zur Verfügung stehende Platz ist begrenzt. Ich appelliere an die drei wichtigsten „Männer“, Frau Sitzmann (Finanzen), Frau Eisenmann (Kultus)  und Herrn Kretschmann (Minischdabräsident), beim Umdenken bei sich selbst zu beginnen und dann direkt in ihre Ministerien einzuwirken. Das ist heute Not-wendender als morgen.

Josef Klein, Mitglied des VBE-Landesvorstandes