Besorgniserregende Entwicklung – Zahl der Lehrkräfte die den Beruf verlassen steigt an!

Dank der Anfrage der FDP im Landtag wissen wir es also genau: Die Zahl der voll ausgebildeten Lehrkräfte, die trotz Lebenszeitverbeamtung den Dienst quittieren, steigt seit Jahren kontinuierlich und bewegt sich auf die Zahl von 500 Lehrkräften pro Jahr zu. Dieses Jahr sieht es so aus, als könnte dieser Negativrekord sogar noch übertroffen werden. Dazu kommt noch eine steigende Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit aus dem Beruf ausscheiden. Mit anderen Worten: Wir verlieren immer mehr voll ausgebildete Fachkräfte, und das in Zeiten des Fachkräftemangels, steigender Schülerzahlen und zunehmender Aufgaben und Herausforderungen im Schulwesen (Siehe Schaubild unten und im VBE Magazin 12/24).

Wie reagiert man darauf in Stuttgart? Man redet das Problem klein. Warum sollten jährlich 500 Lehrkräfte ein Problem sein, wenn man rund 100.000 davon beschäftige? Zudem handle es sich ohnehin überwiegend um Personen, die nicht im Beruf angekommen seien. Vielleicht mag dem so sein, aber letztlich ermittelt die Schulaufsicht hier keinen Grund oder führt gar Personalgespräche. Man argumentiert also ins Blaue. Zudem stellt sich schon die Frage, warum das Ministerium einerseits 48 Quereinsteiger aus dem gymnasialen Bereich und 120 Seiteneinsteiger aus anderen Berufsbereichen als erfolgreiche Maßnahme der eigenen Politik verkauft, aber auf der anderen Seite nur mit den Schultern zuckt, wenn mehrere Hundert voll und stufenadäquat ausgebildete Fachkräfte einfach kündigen. Würde ein Privatunternehmen so agieren? Wohl kaum. Wo liegt nun aber der Hase im Pfeffer? Was sind die Gründe?

Grundsätzlich scheint mir unser Zahlenmaterial valider zu sein als so manches öffentlich formulierte Bauchgefühl aus Stuttgart. Als der Verband für die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer sind viele unserer Aktiven aus den unterschiedlichen Personalvertretungen in der Beratung unterwegs. Regelmäßig beraten sie sehr zeitintensiv genau solche Lehrkräfte oder solche, die sich zumindest mit dem Gedanken einer Kündigung tragen. Und ja, nicht alle dieser Menschen werden dann auch konkret. Die deutlich steigende Zahl dieser Gespräche bereitet uns im VBE allerdings Sorgen. In den letzten drei Jahren habe ich persönlich als Schulleiter jedes Jahr mindestens eine Lehrkraft verloren. Unterhält man sich mit diesen Menschen intensiver, wird einem recht schnell klar, dass die Erklärungsansätze der Politik viel zu kurz greifen.

Gruppe 1 – die Mobilen

Das Ländertauschverfahren (LTV) ermöglicht einerseits mehr räumliche Flexibilität bei Lehrkräften und andererseits die Familienzusammenführung. Manchmal kommt es jedoch vor, dass keine Freigabe durch den Dienstherrn erfolgt, da im Zielbundesland kein Tauschpartner zu finden ist, die Zielregion ausreichend versorgt ist oder die sozialen Gesichtspunkte schlicht nicht ausreichen. In diesen Fällen gibt es immer wieder vor allem junge Kolleginnen, die ihre Stelle aufgeben, um sich im Zielbundesland schulscharf oder auch auf die all- gemeine Bewerberliste zu bewerben. Egal wie man berät, sie nehmen bewusst in Kauf, dass die Dienstfähigkeit neu überprüft wird und sogar bislang erworbene Pensionsansprüche teilweise verloren gehen. Der warme, aber enge Rock des Berufsbeamtentums zieht hier wenig. Gerade bei der Generation Z scheinen andere Aspekte wie Flexibilität wichtiger zu sein. Ist diese Personengruppe besonders groß? Nein, denn der meiste Grenzverkehr herrscht sowieso zu unseren Nachbarländern und die meisten, die im LTV nicht erfolgreich sind, lassen sich dann grenznah in BW versetzen. Somit ist das Problem zumindest vorerst gelöst und einer weiteren Teilnahme am LTV steht auch nichts zur Verfügung.

Gruppe 2 – die Abbrecher

Sicher kennen Sie junge Lehrkräfte, die sich vielleicht noch im Vorbereitungsdienst befinden und an sich und ihrer Berufswahl zweifeln. Dank des Bologna-Prozesses und der Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengänge ist die berufliche Flexibilität heute durchaus gegeben, das Lehramtsstudium ist also keine Einbahnstraße mehr. Gut so! Eine im Beruf unglückliche Lehrkraft ist kein Gewinn – weder für sich selbst noch für die Schülerinnen und Schüler – und würde vermutlich auch nicht gesund den Ruhestand erreichen. Von daher verdienen Junglehrkräfte großen Respekt für eine solche Entscheidung gegen den Beruf. Dies kommt immer wieder vor, aber vor allem die jungen Anwärterinnen und Anwärter sind ja gar nicht in diesen Statistiken der Kündigungen inkludiert. Die anderen Berufseinsteigerinnen und -einsteiger werden von uns zwar ebenso intensiv beraten, spielen zahlenmäßig aber eher eine untergeordnete Rolle.

Kündigungen Lehrkräfte

Quelle: Kultusministerium / SWR

Gruppe 3 – die Aussteiger

Die weitaus größte Personengruppe sind erfahrene Lehrkräfte, die sich mit dem Gedanken tragen, aus dem Beruf auszuscheiden. Wir fragen uns immer wieder, warum jemand mit 15 oder gar 20 Berufsjahren aussteigen will? Nicht nur aus persönlichem Interesse heraus stelle ich diese Frage immer wieder auch in den Beratungsgesprächen. Was mich hier erschreckt, ist die Tatsache, dass die Antworten oft sehr sinnverwandt sind. Ich kann mir durchaus vorstellen, was der eine oder die andere jetzt denken mag: „Wahrscheinlich sind das ohnehin die, die nichts draufhaben.“ Zumindest für die Lehrkräfte, die ich aus meiner eigenen professionellen Erfahrung kenne, kann ich mit dem Brustton der Überzeugung sagen: Dem ist mitnichten so! Es sind oft Kolleginnen und Kollegen, die über viele Jahre klaglos und professio- nell ihre Arbeit geleistet haben, aber fest- stellen mussten, dass vor lauter Nebenher und „Projektleritis“ immer weniger Zeit direkt am Schüler oder an der Schülerin bleibt. Man könnte auch von einer galop- pierenden Verdichtung der Arbeitsleis- tung sprechen. Immer mehr Jobs, die mit dem Unterrichten relativ wenig bis nichts zu tun haben. Hinzu kommen eine über- bordende Bürokratie und ein zunehmen- der „Dokumentationswahn“.

Mir fällt hierzu ein Paradebeispiel aus dem Bereich der Sonderpädagogik ein. Wenn wir früher ein auffälliges Kind an der Schule hatten, nahm man den Telefonhörer in die Hand und rief beim zuständigen SBBZ an. Wenn man Glück hatte, kam dann zeitnah jemand vorbei, um sich ein Bild zu machen. War dies wie erwartet, stieg man in die valide Diagnostik ein, gefolgt von einem Feststellungsbescheid. Heute muss ich erst einmal einen schriftlichen Antrag auf Beratung und Unterstützung stellen, der minutiös auflistet, welche pädagogischen Maßnahmen erfolgt sind, welche Gespräche bereits liefen, ob schon runde Tische mit anderen Beteiligten stattgefunden haben, welche Unterstützungsmaßnahmen dabei besprochen wurden und, nicht zu vergessen, ob es eventuell noch andere Befunde gibt. Wer jetzt glaubt, dass dies bereits Bestandteil der Diagnose ist, liegt falsch. Denn nachdem viele Seiten im Antrag ausgefüllt und ans zuständige SBBZ weitergeleitet sind, wird erst einmal beraten, ob überhaupt jemand kommt. Wie auch, bei der Personalausstattung? Am guten Willen scheitert es bestimmt nicht. Kommt dann aber tatsächlich jemand, steigt man weiter und tiefer in die Diagnose ein und die Mühle geht wieder von vorne los. Zig runde Tische später ist es dann vielleicht so weit, insofern die Eltern zustimmen. Ob das der Qualität zuträglich ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Dass der bürokratische Aufwand um ein Vielfaches gestiegen ist, dürfte allerdings klar sein. Da Zeit aber kein mehrbares Gut ist, stellt sich die Frage, wo ich diese dann wieder für mein eigenes Kerngeschäft abknapsen soll. Will man dann noch seinen eigenen Qualitätsansprüchen genügen, wird es schwierig.

Neben den Zusatzaufgaben und der Bürokratie tragen weitere Faktoren dazu bei, dass sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen die berechtigte Frage stellen, ob man das eigentlich noch will und was das mit dem Beruf zu tun hat, den man ursprünglich ergriffen hat. Volle Klassen, mehr verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler, die teilweise ohne grundlegende Grenzen und moralischen Kompass bei uns eintreffen, fordernde und grenzüberschreitende Eltern, der strukturelle Personalmangel: All das sind Faktoren, die in Summe dazu beitragen, dass sich immer mehr gestandene Lehrkräfte fragen, ob es für sie nicht eine Alternative gibt.

Fazit

Es braucht dringend ein Umdenken nicht nur in Stuttgart, sondern und insbesondere auch an den personalverwaltenden Dienststellen landauf, landab. Vor allem junge Kolleginnen und Kollegen empfinden die Anstellung beim Land nicht mehr als „Gnade“ oder Lebensziel. Der Schuldienst steht im Wettbewerb mit anderen Berufssparten, die teilweise sehr viel attraktivere und flexiblere Angebote unterbreiten können und vor allem auch wollen. Es wird Zeit, dass man hier endlich aufwacht. Ein Umdenken ist aber auch in puncto Arbeitsbedingungen und Unterstützungssystemen nötig. Es braucht in Stuttgart nicht nur Menschen, die nach- denken, was man noch alles den Schulen und Lehrkräften aufbürden kann, sondern Menschen, die ihr Ohr an den Beschäftigten vor Ort haben, zuhören und festgefahrene Strukturen auch ändern wollen. Das Gejammer über den gesellschaftlichen Wandel und ein „Ist halt so“ bringen uns nicht weiter. Um die Probleme von heute zu lösen, braucht es Lösungsansätze von heute. Aber vor allem braucht es auch die Zeit, damit in den Klas- senzimmern wieder mehr von dem möglich ist, wofür die Menschen, die dort arbeiten, ursprünglich den Beruf ergriffen haben: die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Und vor allem braucht es nicht noch mehr Jobs für Gotteslohn on top, sondern weniger davon. Oder aber einen Rahmen, um dies alles leisten zu können, und das geht weder mit den heutigen Klassengrößen noch mit den Unterrichtsverpflichtungen von gestern.

Dirk Lederle, stellvertretender VBE-Landesvorsitzender