Lederle spricht Klartext: Das mit den guten Vorsätzen ist so eine Sache

Klartext

Wie hat denn Ihr Jahr so angefangen? Hat es hingehauen mit den guten Vorsätzen oder ist alles schon wieder zurück auf Normal? Schulisch gesehen ist es mir ja klar, wie Ihr Start vermutlich aussah. Klassenarbeiten, Zeugnisse, Halbjahresinfos oder Lernentwicklungsberichte waren das dominierende Thema. Oder wie es eine Kollegin einmal ausdrückte: Voll im Hauptkorrekturkorridor. Ich selbst hatte mir auch etwas Arbeit mit in die Ferien genommen, die Englischarbeit meiner 10er lag 23-fach auf meinem Schreibtisch. Für schlechtes Wetter, Langeweile oder so. Und unser guter Vorsatz „Hektikfasten“ ist so richtig gründlich misslungen.

Kaum im neuen Jahr angekommen, ging es weiter wie immer. Von Termin zu Termin, STEWIs abarbeiten, erste Prognose-tabellen fürs Schulamt ausfüllen, mit Moodle umziehen, ASV kapieren und endlich zum Laufen bringen, ein gescheites Notenverwaltungsprogramm organisieren, Dienstbesprechung hier, Konferenz da. Voll zurück im alten Trott.

Man wolle sich jetzt mal zusammensetzen und die Bildungspolitik neu durchdenken.

Mitten in diese neue alte Normalität platzt da eine Meldung, offensichtlich hatte sich in Stuttgart auch jemand gute Vorsätze gefasst. Man wolle sich jetzt mal zusammensetzen und die Bildungspolitik neu durchdenken. Weg von der Legislaturperiode und hin zu einem zukunftsweisenden neuen Großen und Ganzen. Das ließ mich dann doch aufhorchen. Sollte es etwa möglich sein, dass sich konträr und teils auf heftigste ideologisch agierende politische Player auf einen Kompromiss einigen können? Selbst mit sehr viel Fantasie konnte ich mir das eher nicht vorstellen. Raus aus dem ewigen Getriebensein für die Schulen und mal so etwas wie Planungssicherheit? Seien wir ehrlich, notwendig wäre das schon. Denn leider treibt man mit jeder neuen Regierungskombi und mit jedem Stuhlwechsel im Ministerium diverse gut gemeinte bildungspolitische Säue durch die Schullandschaft und beglückt die Schulen mit immer noch mehr Projektle. Nicht, dass einen der ewig gleiche Trott weiterbringen würde und sicher ist auch nicht jedes Projekt und jeder Vorstoß grottenunnötig. Aber jedes Projekt bindet halt auch Ressourcen bei denen, die es umsetzen sollen. Da Zeit allerdings auch für Lehrkräfte ein endliches Gut ist und zumindest manche von uns auch noch so etwas wie ein Privatleben haben, ist klar, wo die aufgewandte Zeit abgeknapst werden muss. Nämlich genau dort, wo wir sie als Lehrkräfte echt mit Leidenschaft und gerne aufbringen: am Kind unmittelbar.

Wundert Sie es da eigentlich noch, dass wir im Bildungsranking eher auf dem absteigenden Ast sind?

Wundert Sie es da eigentlich noch, dass wir im Bildungsranking eher auf dem absteigenden Ast sind? Mich jedenfalls nicht und so lange man in Stuttgart nicht versteht, dass gute Ideen zwar echt klasse sind, es aber auch Leute dazu braucht, um diese umzusetzen, weil nebenher und in der All-Inclusive-Arbeitszeit von uns Lehrkräften wirklich nicht noch mehr möglich ist. Ja, und auch der Beruf ist anspruchsvoller geworden. Gesellschaftlich gesehen, waren wir nämlich immer flott dabei, Aufgaben aus den Elternhäusern in die Schulen abzuschichten. Damit einhergehend gibt es eine leider immer größer werdende Anzahl von Eltern, die sich einseitig aus der Bildungspartnerschaft mit den Schulen längst verabschiedet haben. Getreu der Dienstleitungsmentalität, die dort offensichtlich herrscht. Wer soll es dann richten? Wir natürlich. Beispiel gefällig?

Beispiel 1: BO

Also legen wir mal vom Ende her los, Beispiel 1: Die Berufsorientierung (BO). Man stellt also in Stuttgart fest, dass überall Fachkräfte fehlen und viel zu wenige Jugendliche in Ausbildungsberufe wechseln. Darüber hinaus wechseln viel zu viele den Ausbildungsberuf. Ein riesen Kuddelmuddel also. Schuld sind da natürlich die Schulen, weil diese die Kids nicht gescheit beraten und weil Lehrkräfte sowieso nur die Schule kennen und keine Ahnung vom wirklichen Leben haben, empfehlen sie weiterführende schulische Angebote, hört man dort. Jetzt braucht es also mehr und vor allem endlich mal eine gescheite berufliche Orientierung. Dazu etabliert man nicht nur ein extra Fach, sondern ernennt BO vor allem zur Leitperspektive im Bildungsplan. Damit ist BO die Aufgabe aller und wird somit auch im intensiveren Umfang leistbar, weil die Last ja somit auf viele Schultern verteilt wird und auch die Kunst-Kollegin oder auch der Sport-Kollege jetzt ranmüssen. Stunden dafür gibt es natürlich nicht und die Zeit dazu abknapsen müssen alle. Auch die Mathe-Lehrkräfte. Fluchs noch etwas Digitales in Form eines Online-Portals und einer App dazu und schon passt es. Dass BO aber vor allem die persönliche Begleitung und viel Beziehungsarbeit braucht, angefangen im Praktikum und bis hin zum Bewerbungsprozess, ist an entscheidender Stelle offenbar keinem klar. Dazu bräuchte es nämlich sehr viel Zeit und sehr viel persönlichen Einsatz, besonders dann, wenn in Elternhäusern wenig bis keine Unterstützung zu bekommen ist oder, noch schlimmer, total konträr agiert wird. Früher gab es genau dafür eine sehr intensive Begleitung durch darauf spezialisierte externe Kräfte. Zumindest so lange, bis man feststellte, dass genau dies richtig Geld kostet. Haben will man es aber trotzdem und dann sollen die Schulen es halt alleine richten. Die Lehrkräfte haben dazu ja noch Kapazität. Echt jetzt?

Beispiel 2: Ganztag

Oder wie wäre es mit Beispiel 2, dem Ganztag? Also nicht, dass Sie mich falsch verstehen und in die Ecke stellen „Der will bloß mittags nicht unterrichten und lieber frei haben“. Genau dieses Vorurteil hört man in Stuttgart übrigens häufiger, weshalb die schulischen Gremien mir nichts, dir nichts als Entscheidungsträger aus dem dazugehörigen Gesetz gestrichen wurde. Also genau die, die es dann vor Ort umsetzen sollen, werden nicht gefragt und entscheiden dürfen sie es auch nicht. Die Entscheidung fällt der Träger im klassischen Topdown-Verfahren mit den Dollarzeichen in den Augen, weil hier Kosten für Personal in Betreuungsangeboten gespart werden können. Wir sind uns sicher recht schnell einig, dass eine gut gemachte Ganztagsschule für viele Kinder ein absoluter Gewinn wäre und für viele Schulen auch, die dann Lernen und Bildung ganz neu denken könnten. Fallen Ihnen da auch gleich ein paar Namen aus Ihrer Klasse ein, die besser in der Schule wären, als in einem Zuhause, in dem man sich eher weniger mit ihnen abgibt? Nur, wer soll den Ganztag eigentlich bei dem Lehrkräftemangel, der an den Grundschulen ohnehin schon herrscht, umsetzen? Hat mal jemand darüber nachgedacht, dass es dazu vor allem zusätzliches Personal bräuchte, welches es auf dem Markt weder für Lehrkräfte, Betreuungskräfte oder bei den Ehrenamtlichen gibt.

Gute Vorsätze – nur geht so!

Von daher sind gute Vorsätze in Stuttgart sicher sinnvoll und gut gemeint. So ein Sinneswandel wäre ja in Stuttgart nicht schlecht und die Einigung auf einen Konsens wirklich richtungsweisend. Was es aber vor allem braucht, wäre die Einsicht, dass es ausreichend Menschen benötigt, die den Bildungsprozess tragen. Und dass diese Menschen auch genau dafür die Zeit bekommen, um dies leisten zu können. Also bleibt mir leider nichts als zu hoffen, dass das mit meinen guten Vorsätzen im nächsten Jahr klappt und in Stuttgart die Erleuchtung einkehren möge.

Dirk Lederle, Schulleiter Johanniterschule Heitersheim, Stellvertretender Landesvorsitzender.