Lederle spricht Klartext: Und schon wieder eine gute Idee

Klartext

Es ist ein ganz normaler Dienstag in meinem Büro. Gerade blättere ich im Zusatzmaterial zum Englischbuch für meine 10er, damit es nachher am Kopierer schneller geht (die bösen Blicke meiner Kolleginnen will ich lieber nicht durch zu langes Blockieren des Geräts auf mich ziehen), als mein Telefon klingelt. Ein Redakteur des SWR ist dran und fragt: „Haben Sie schon von der Idee gehört, den Schülerinnen und Schülern endlich Basiswissen zu Banken, Aktien und Kreditgeschäften zu vermitteln?“.

Der Redakteur führt dann noch aus, dass irgendwer oder irgendeine Initiative mal wieder eine gute Idee hatte und flugs mit der entsprechenden Forderung die Medienwelt flächendeckend beglückt hat. Innerlich seufze ich schon etwas und frage mich, warum Bildungspläne eigentlich öffentlich und damit für alle lesbar sind. Und da sagen die immer, die Lesekompetenz würde nur bei unseren Schülerinnen und Schülern abnehmen. Das muss offensichtlich auch bei Erwachsenen, die deutlich vor Corona den Schulbesuch beendet hatten, eingesetzt haben. Mein Vater hätte in dem Fall in seiner herzlichen, aber durchaus sehr direkten Art wahrscheinlich so etwas wie „erst denken, dann sprechen“ gesagt. Ich bin da vermutlich etwas geduldiger, mehr wie meine Mutter. Geduld braucht man als Lehrer schon. 

Also beginne ich dem Mann freundlich zu erklären, dass es ja 2016 einen neuen Bildungsplan gegeben hat und dort auch ein neues Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS) geschaffen wurde. Wie man schon am Namen eindeutig erkennen kann, geht es darin auch um wirtschaftliche Zusammenhänge. Also beginne ich im Bildungsplan vorzulesen und bombardiere ihn mit den entsprechenden fiskalischen Inhalten: „Die Schülerinnen und Schüler können Gründe für und gegen Sparen in Abhängigkeit von verschiedenen Lebenssituationen erläutern, die Bedeutung eines Girokontos in den verschiedenen Lebenssituationen erklären und die Funktionsweise von Onlinebanking beschreiben, Ziele einer Vermögensanlage beurteilen (magisches Dreieck) und den möglichen Konflikt zwischen Sicherheit und Rentabilität darstellen, unterschiedliche Interessen von Kapitalgeber und -nehmer analysieren und den Zins als Preis des Tauschverhältnisses erklären, Börsen als Orte des Aufeinandertreffens von Angebot und Nachfrage erläutern….“

 „Dann verstehe ich die Forderung nicht“, entgegnet er mir freundlich. Eben. Ich auch nicht. Ehrlich gesagt geht es mir schon ein wenig auf den Wecker, dass Leute offensichtlich ohne jegliche Sachkenntnis in Bezug auf Schule, dafür aber mit medialer Reichweite, mit ihren gut gemeinten Ideen um die Ecke biegen und Schule es dann wieder einmal richten soll. Ganz nebenbei wird so auch das „Faule Säcke“-Image ohne Ahnung wieder einmal bedient, was mich noch viel mehr nervt. 

Und dann will diese Initiative auch noch die Steuererklärung auf den Bildungsplan zaubern. Jetzt wird es echt schwierig. Selbst ich als wahrscheinlich normalintelligenter Durchschnittsbürger bin dazu auch aufgrund der jährlich komplexeren steuerrechtlichen Grundlagen nicht in der Lage, sondern muss für echt viel Geld einen Steuerberater bemühen, damit das auch korrekt erfolgt und ich mir nicht mit prominenten Steuersündern die elektronische Fußfessel teilen muss. Das geht vielleicht dann, wenn die berühmte Bierdeckelsteuererklärung wahr wird. Aber das erleben wohl auch die jetzt neu eingestellten Kolleginnen und Kollegen nicht, geschweige denn ich zu meinen aktiven Dienstzeiten.

Was machen wir denn eigentlich nicht schon alles in den Schulen? Na klar, den Ernährungsführerschein, die Verkehrserziehung, die Aufklärung, das soziale Miteinander fördern, auf den Gebrauch von Medien vorbereiten (Wer hat den Kids eigentlich das Smartphone gekauft?), Schutzkonzepte oder Beratungscurricula entwickeln, Krisenpläne, Brandschutzordnungen, Gefahrstoffkataster, Betriebsanweisungen für Maschinen, Leitern und Tritte ausarbeiten, Verfahrensverzeichnisse erstellen, Impfnachweise prüfen, das mit den Läusen den Eltern erklären, den Kindern die Berufswelt näherbringen, gemeinsam einkaufen, sie zu mündigen Verbrauchern erziehen, natürlich den Aspekt der Nachhaltigkeit vermitteln, die Bundeswehr sollen wir auch noch einbeziehen und den Katastrophenschutz sowieso. Soll ich noch weitermachen? Dann wird das wahrscheinlich so ein Text, wie bei Billy Joels Lied „We didn’t start the fire“. Die Älteren unter uns erinnern sich sicher an den Klassiker aus dem Jahr 1989.

Nicht dass ich das alles und die Sinnhaftigkeit in Abrede stellen will, aber lesen, schreiben, rechnen sollten wir ihnen auch noch beibringen. Nur wann eigentlich? Mich wundert schon lange nicht mehr, dass bei all den gut gemeinten Ideen, das eigentliche Kerngeschäft immer mehr auf der Strecke bleibt. Nur an diesem Kerngeschäft werden wir halt gemessen und weil die Kids dort „immer schlechter werden“, dann auch kräftig in der öffentlichen Diskussion abgewatscht. Hat da schon einmal jemand darüber nachgedacht? Ich vermute nicht, aber werden sie bald müssen. Denn wer Arbeitszeit dokumentieren muss, der sollte erst einmal Klarheit darüber bekommen, was eigentlich zu seiner Arbeit gehört. Kennen Sie etwa eine Tätigkeitsbeschreibung für Lehrkräfte? Ich jedenfalls nicht. Es muss ja nicht gleich ein riesiger Katalog wie in Hamburg sein, aber wetten wir? Wenn wir das einmal müssen und sich die Politik ernsthaft darüber Gedanken machen muss, ob jede noch so gut gemeinte Idee eigentlich finanzierbar ist oder schlicht zu viel kostet, also nicht mehr Bestandteil der All-Flat-Arbeitszeit der Lehrkräfte ist, dann wird es spannend. Überstunden heißt hier das Zauberwort. Wie sollen die eigentlich abgebaut werden? In den Ferien oder darf dann auch mal Unterricht ausfallen? Braucht es da nicht eigentlich eine feste Vertretungsreserve an jeder Schule? Woher sollen da die Lehrkräfte herkommen? Aber wahrscheinlich ist das auch so, wie beim Ganztag. Man formuliert mal was, aber woher die Leute kommen sollen, das wird wohl ein ewig‘ Rätsel bleiben. Und so kann halt aus einer noch so gut gemeinten Idee nicht unbedingt auch Realität werden, zumindest dann, wenn man gewisse Marktmechanismen anlegt. Wahrscheinlich hat die eben niemand den Verantwortlichen damals in der Schule erklärt.

Dirk Lederle, Stv. Landesvorsitzender