Die 3,1 (drei Komma eins) ist seit seinem Outing im August 2018 untrennbar mit dem Namen Günther Jauch verbunden. Es ist seine Abiturnote. Durchschnitt. Mittelmaß. In einer Kurzreaktion gab er dies bekannt, als ihm beim „Wer wird Millionär?“-Special die Einserkandidaten der heutigen Abiturgeneration als Kandidatinnen und Kandidaten gegenüber saßen. Interessanterweise kommentierte der Entertainer diese Diskrepanz auch gleich und er blieb fair dabei. Einerseits wies er daraufhin, dass heute viele mehr Schülerinnen und Schüler den Sprung von der Grundschule zum Gymnasium machen.
Die Zahl der Abiturienten habe stark zugenommen. „15 Prozent waren es in meinem Jahrgang – heute sind es oft 50 Prozent und mehr“. Er glaube aber, dass die Noten heutzutage immer besser geworden seien. Allerdings stelle er fest, dass im klassischen Bildungskanon im Vergleich zu früher Defizite vorhanden seien. Dafür seien die heutigen Abiturienten oft mehrsprachig und als Digital Natives im Vorteil.
VBE Stichwort: Was ist das Abitur noch wert?
Wird das Abitur den Schülern hinterher geschmissen? Werden zu viele Einsen vergeben? Darüber ist eine neue Debatte entflammt. Und die Bundesvorsitzende des Philologenverbandes, Lin-Klitzing, betont: „Die Hochschulreife gibt es nicht geschenkt“. Das Abitur sei nach wie vor ein anspruchsvoller Abschluss. In allen Schularten sei allerdings „ein politisch gewünschter Trend zu besseren Noten zu verzeichnen“.
Ergänzend sei hier eine Aussage des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) angeführt. Der hatte angesichts einer deutlich steigenden Zahl von Abiturienten mit der Abschlussnote von mindestens 1,9 jüngst gefordert, man solle einer „Noteninflation“ Einhalt gebieten. Aus den Hochschulen kämen Klagen über das Text- und Schreibverständnis der Abiturienten und über Schwierigkeiten in Mathematik. Es sei zutreffend, dass etwa jeder vierte Abiturient 2018 eine Eins vor dem Komma hatte, während zehn Jahre zuvor „nur“ etwa jeder fünfte ein „Einser-Abiturient“ war.
Ja, inzwischen stellt man auch fest, dass studentische Autoren von Zulassungsarbeiten die Korrektur bezahlt outsourcen, um mangelnde Fertigkeiten in Rechtschreibung, Stilsicherheit, Grammatik usw. nicht zum Bumerang für sich selbst werden zu lassen. Während in Günther Jauchs Jahrgängen die Abiturnote (mit Ausnahme der Numerus clausus-Fächer, in denen es einfach zu wenig Studienplätze gab) in der Regel auch die Zugangsberechtigung zu Hochschulen und Universitäten war, gibt es heute Studiengänge, bei denen man zusätzlich eine Aufnahmeprüfung oder ein Aufnahmegespräch absolvieren muss. Vertraut man also der Notengebung beim Abitur nicht mehr? Es scheint so, aber angesichts der Zusammenstellung obiger Fakten möge sich jeder selbst sein Urteil bilden.
VBE Stichwort: Gutachteritis
Irgendwie passt es schon dazu, dass die heutige Politikergeneration sich gerne (um Verantwortung abzuschieben?) auf Gutachten, Think Tanks (Denkfabriken) und Expertenmeinungen verlässt, Doch die gibt es nicht zum Nulltarif. Insgesamt hat das Land im Jahr 2018 Gutachten von 14,2 Millionen Euro vergeben, im Jahr zuvor waren es noch 28,2 Millionen. Dabei wurden die Gutachten schon auf ein „notwendiges Maß“ reduziert. Und man wolle darauf achten, dass bei zusätzlichen Einstellungen von Mitarbeitern weitere Leistungen intern erbracht werden sollen. Ohne dass mir genaue aktuelle Zahlen vorliegen, darf man aus den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts die jährlich in Auftrag gegebenen Gutachten mit „um die 1000“ feststellen, mal mehr, mal weniger. Im Jahr 2010 wurden -als Vergleich dazu- für Fremdleistungen weniger als 10 Millionen Euro ausgegeben
Der Vorsitzende des Finanzausschuss des Landtags gab unter anderem bekannt, dass beispielsweise die deutliche Erhöhung im Jahr 2017 auf die Weiterführung eines mehrjährigen Projekts des Verkehrsministeriums für den Schienenpersonennahverkehr zurückzuführen sei. Das ist so ein typischer Fall: Man privatisiert die Bahn, lässt sie von den profitorientierten Betreibern aussaugen, will sie „eigentlich“ zum DAX-Unternehmen weiterentwickeln und wundert sich, dass man dann wieder staatliche Gelder einsetzen muss, damit die Bahn überhaupt noch rollen kann. Braucht man dazu einen Think Tank?
Zurück zum Kultusbereich: Das Wissenschaftsministerium hat in den beiden letzten Jahren konstant 2,5 Millionen Euro für Gutachten ausgegeben. Das Kultusministerium hingegen nur im Schnitt 160 000 Euro. Nun muss man aber dazurechnen, dass mit dem Scheitern der Bildungsplattform „ella“ dem Kultusministerium 6,5 Millionen Zusatzkosten entstanden waren, die trotz aller Gutachten nicht zum Erfolg führten. Es ist also überhaupt keine Garantie, dass Handlungsstränge unter Zuhilfenahme von Expertisen den gewünschten Erfolg bringen. Nur eines haben Scheitern oder Gelingen, Gutachten oder Nicht-Gutachten gemeinsam: Wir, die Steuerzahler, stehen in der Zahlungspflicht.
VBE Stichwort: Geld liegt auf der Kante, Personal fehlt
Im September dieses Jahres musste Finanzminister Olaf Scholz feststellen: „Wir mobilisieren schon heute Milliarden für den Klimaschutz, für bessere Schulen, neue Straßen und sozialen Wohnungsbau – und stellen am Jahresende regelmäßig fest, dass viel Geld nicht abgerufen wird. Das steigt von Jahr zu Jahr. Inzwischen sind das im gesamten Etat mehr als 15 Milliarden Euro.“ Wo fehlt es also? Investitionen in Klimaschutz, Schulen, Digitalisierung und sozialen Wohnungsbau – dafür seien Milliarden da, sagt Scholz. Wenn das Geld nicht abgerufen würde, läge es daran, dass Planungskapazitäten und Arbeitspersonal fehlten. Zudem seien viele Regelungen zu kompliziert und Entscheidungsprozesse zu lang.
Der Finanzminister sagte zu, etwa 2500 hoch verschuldeten Kommunen beim Abbau von Altschulden helfen zu wollen. „Es gibt eine ganze Reihe von Städten und Gemeinden, die so hoch verschuldet sind, dass sie allein nicht mehr aus der Altschuldenfalle herauskommen“. Bereits im Juli hatte eine Regierungskommission für „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ solche Hilfen in Aussicht gestellt.
Bis 2030 fehlen im öffentlichen Dienst insgesamt 730 000 Verwaltungskräfte. Das hat die Mc Kinsey Studie vom April dieses Jahres prognostiziert. Nicht eingerechnet sind die Lehrkräfte, die über einen solchen Zeitraum deutlich schwerer zu prognostizieren sind. Was passiert, wenn Erdogan die Grenzen öffnet? Wie entwickelt sich die Geburtenrate in einem Land, in dem der Staat immer mehr Leistungen für junge Familien erbringt? Welchen Einfluss haben Smartphone, Digitalisierung, Veränderungen im traditionellen Familienbild und andere modische Entwicklungen der Gegenwart auf die Anzahl der Einzuschulenden?
Und dann kommt ein weiteres dazu: Erfolgreich hat Kultusministerin Eisenmann in den Doppeletat 2020/2021 weitere 1000 Lehrerstellen schreiben lassen. Dies wird als Erfolg gefeiert. Tatsächlich wäre es auch einer, wenn diese Personen zur Verfügung stünden. Es ist aber eher umgekehrt: den Einstellungen muss man die Pensionierungszahlen gegenüberstellen, die immer noch deutlich hoch sind. Und dann werden die Personalabteilungen schon daran zu kratzen haben, die aus dem Schulbetreib Ausscheidenden durch qualifiziertes Personal zu ersetzen. Da sind wir aber noch nicht an der Stelle, wo es 1000 Personen zusätzlich braucht, um die gewünschten Ziele zu erreichen, als da wären: die Inklusion stemmen, Ethik und Informatik ausbauen, Ganztagsschulunterricht verstärken. Nebenbei soll noch erwähnt werden, dass in diesem Doppelhaushalt Gelder zur Stärkung von Schulleitungen eingestellt werden. Schön wäre es, und wenn dann endlich wieder alle (viele) Schulleitungen voll besetzt sind, fehlen zum Unterrichten noch mehr Lehrkräfte, die der Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen muss.
VBE Stichwort: Der Neuanfang als Chance
Auch wer diese in jüngster Zeit vielfach bemühte Redensart und deshalb gleichzeitig abgedroschenes Zitat nur noch kopfschüttelnd kommentieren kann, ist angesichts unseres Berufs und unseres Auftrags genötigt, das Positive herauszulesen. Jede/r weiß, dass sich die Voraussetzungen für die Grundschulfähigkeit stetig verschlechtern. Jede/r weiß, dass die Gymnasialnoten immer weniger aussagekräftig sind. Wir „damals“ wollten Lehrer werden, weil wir den Schülern etwas beibringen, sie unterrichten wollten. Sie (die meisten Schülerinnen und Schüler) kamen, konnten Schuhe binden, das Vaterunser aufsagen und hatten am Tag drei geregelte Mahlzeiten, was schon einmal eine Tagesstruktur an sich gewährleistete. Für uns ist es besonders schwer, damit zurechtzukommen, dass Erziehungsarbeit in der Schule inzwischen einen wesentlichen Teil der Bildungsarbeit ausmacht. „Damals“ wurde diese weitgehend zu Hause geleistet. Jungen Lehrkräften hingegen müsste es doch bewusst sein, wenn sie diesen Beruf ergreifen, dass inzwischen beides zusammengehört. Sie müssen mit verschiedenartigen Kindern und Eltern umgehen, müssen Anfeindungen ertragen und ab und zu dürfen sie auch einmal Lob einheimsen. Und diese Aussage veranlasst mich zur Feststellung, dass trotz deutlich schlechterer Rahmenbedingungen die Chance der Zukunft um die Bildung in unserem Land darin liegt, dass junge Menschen motiviert werden, diesen Beruf zu ergreifen, zu leben und das beste dafür zu geben. Deshalb meine Bitte an die Politik und Schulverwaltung in diesem Land: Stärken wir diese jungen Menschen durch Anerkennung ihrer Arbeit, durch Verbesserung der Gehaltsstrukturen und durch Wertschätzung, die sich nicht nur auf Papier, sondern auch im Umgang mit ihnen zeigt.