Lehrerverband ist skeptisch gegenüber PISA-Chef Vorschlag, Flüchtlingskinder sofort in Regelklassen zu integrieren

VBE: Besonnen vorgehen und nicht alle Beteiligten überfordern

Stuttgart. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg sieht auf Leh­rerseite viel guten Willen, sich der Flüchtlingskinder in den Schulen anzunehmen und zu helfen, wo es nur geht. Der VBE warnt aber davor, dabei alle Beteiligten zu überfordern. Der jüngste Vorschlag des Pisa-Chefs Andreas Schleicher, Kin­der von Geflüchteten gleich in Regelklassen mit bis zu 30 Schülern aufzunehmen, ist im Sinne der Integration sicher gut gemeint, wäre aber nicht nur für die Flücht­lingskinder eine heillose Überforderung und damit kontraproduktiv.

Die Kinder Geflüchteter sollten nach Aussage des PISA-Chefs Andreas Schleicher spä­testens drei Monate nach Antragstellung mit dem regulären Schulbesuch beginnen. Der VBE weist darauf hin, dass in Baden-Württemberg bereits ab dem ersten Tag der Ein­weisung in eine Gemeinschaftsunterkunft die Kinder der Neuankömmlinge ein Recht auf den Schulbesuch haben. Viele nutzen dieses Recht auch, das nach sechs Monaten in eine Schulpflicht übergeht.

Die Kinder sind da und werden täglich mehr. Der VBE plädiert für die schnelle Schaf­fung weiterer Stellen für den speziellen Sprachunterricht ausländischer Kinder. Wenn in Vorbereitungsklassen (VKL) mit 24 Kindern aus verschiedenen Nationen und Kultur­kreisen manche nicht einmal alphabetisiert sind, andere die lateinische Schreibweise nicht beherrschen, einige sogar fließend Englisch sprechen, ist jede Lehrkraft mit der Differenzierung überfordert. Dies gilt erst recht für die vorgeschlagene sofortige Inte­gration in eine Regelklasse mit bis zu dreißig Schülern.

Der VBE fordert deshalb mit Nachdruck: Der Teiler bei Vorbereitungsklassen muss deutlich verringert werden. Obendrein sind weitere neue Stellen für zusätzliche Lernan­gebote an Schulen zu schaffen. Das in diesem Schuljahr gestartete Sprachförderpro­gramm an Grundschulen war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die dafür vorgesehenen Lehrerstunden müssen jetzt dringend erweitert und verstetigt werden.

VBE begrüßt Stärkung der Grundschule durch Kultusminister

Stuttgart. Jahrelang wurde den Grundschulen kaum oder gar keine Beachtung geschenkt, obwohl dort von den Lehrkräften hervorragende Arbeit geleistet wird. Der Ver­band Bildung und Erziehung (VBE) begrüßt es, dass der Kultusminister jetzt den Fokus auf diese erfolgreiche Schulart gerichtet hat.

„Die Grundschule ist entscheidend für eine gelingende Bildungsbiografie; sie legt das Fundament für eine erfolgreiche Schullaufbahn“, betonte Kultusminister Andreas Stoch auf dem Kongress „Die Grundschule: kindgerecht und zukunftsfähig“ in Stuttgart. Da­mit bestätigte der Minister die langjährige Argumentationslinie des VBE.

Der VBE begrüßt die beschlossene Erhöhung der Leitungszeit auf mindestens zehn Stunden zur Gewinnung von Rektoren für kleine Grundschulen. Der VBE fordert zu­sätzlich die Anpassung der Bezüge an die anspruchsvolle Leitungsaufgabe.

Der VBE begrüßt die erneut geplante Einführung von Ethik in der Grundschule für alle Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen oder sich von diesem abge­meldet haben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahme, die bereits in der Koalitions­vereinbarung festgeschrieben worden ist, nun möglichst rasch umgesetzt wird.

Gleichfalls positiv zu sehen ist die Erhöhung der Kontingentstundentafel der Grund­schule ab dem nächsten Schuljahr von 98 auf 102 Stunden in zwei Schritten.

Bei der neu im Schulgesetz verankerten Ganztagesgrundschule wünscht sich der VBE zur Sicherung des pädagogischen Mehrwerts mehr Lehrerdeputate für eine echte Rhyth­misierung des Lernens. Eltern und Vereine können den Ganztag zwar bereichern; sie dürfen aber nicht Hauptträger der Individualisierungsangebote sein.

Mit der Optimierung des Elternberatungsverfahrens ist der VBE nicht zufrieden, da das neue Protokollformular keinerlei Aussagekraft hinsichtlich des Arbeits- und Sozial­verhaltens der Schüler oder zu anderen Beratungsthemen aufweist, sondern lediglich dokumentiert, dass die Eltern über die Arbeitsweisen aller auf der Grundschule aufbau­enden Schularten informiert worden sind. Diese Informationen erhielten Eltern schon bisher und erhalten sie auch weiterhin am gemeinsamen Informationsabend mit Schul­leitungen der weiterführenden Schulen.

VBE: Lehrer setzen sich gerne für ihre Schüler ein, stoßen aber immer öfter an eigene Grenzen

Stuttgart. „Überlastungs- und Erschöpfungssymptome bei Lehrern sind meist Ausdruck eines dauerhaft zu großen Engagements“, sagt der Sprecher des Verbandes Bil­dung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. „In der Regel haben sich diese Pädagogen im Dienst völlig verausgabt, kamen doch in letzter Zeit ständig weitere Aufgaben auf die Lehrerschaft zu.“

Schulentwicklung und Gewaltprävention, neue Bildungspläne und zunehmender Ganz­tagsbetrieb, Inklusion und Flüchtlingskinderproblematik: Baustellen gibt es an den Schulen gerade mehr als genug. „Das für die Gesunderhaltung notwendige gedankliche Abschalten von der Arbeit außerhalb der Schule kann von vielen Lehrern nicht voll­zogen werden, weil sie sich zum einen zu stark mit der Schule und den Schülern identi­fizieren, zum anderen zwangsläufig immer wieder Arbeit mit nach Hause genommen werden muss,“ sagt der VBE-Sprecher. Viele Pädagogen seien noch in der unterrichts­freien Zeit Jäger und Sammler, stets auf der Suche nach geeignetem Anschauungsma­terial für ihren Unterricht sowie ehrenamtlich in Vereinen und Kirchen eingebunden.

Studien zur Lehrergesundheit haben gezeigt, dass gerade besonders engagierte Lehrer nach vielen Jahren des aufreibenden Berufsalltags Gefahr laufen, psychisch zu erkran­ken oder völlig auszubrennen. Daher sollten nicht nur die Lehrer mehr auf ihre Gesund­heit achten, meint der VBE-Sprecher, noch wichtiger sei es, dass die Politik aktiv werde und die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessere. An erster Stelle der Agenda stehe bei den Pädagogen der Wunsch nach kleineren Klassen (derzeit sitzen immer noch bis zu 30 Schüler in einer Klasse), dichtgefolgt von dem Bedürfnis nach einer spürbaren zeitlichen Entlastung, da zusätzliche Vertretungsstunden für erkrankte Kollegen und außerunterrichtliche Tätigkeiten wie Beratungsgespräche, Fachkonferenzen und Steue­rungsgruppen zur Schulentwicklung überproportional zugenommen haben. Bei Erzie­hungsproblemen mit Schülern sollten Eltern wieder verstärkt mit in die Pflicht genom­men werden, da die Erstverantwortung für die Kinder und Jugendlichen nach wie vor bei den Erziehungsberechtigten liegt. „Lehrer sind keine pädagogischen Allzweckrei­niger, die zu ihrem eigentlichen schulischen Bildungsauftrag noch so nebenher sämt­liche gesellschaftlichen Werte- und Erziehungsdefizite bei den Schülern ausbügeln“, schimpft der VBE-Sprecher.